Montag, 7. September 2015

Die "anderen" Touristen

Wer Zell am See in den Sommermonaten bereist, der sei gewarnt: Hier tummeln sich viele Touristen aus den arabischen Ländern! Tatsächlich muss man dies als Warnung verstehen, denn schließlich kann man es ja in den diversen Internet-Foren lesen: Vorsicht, wer hier Urlaub macht, der muss sich darauf einstellen, mit arabischen Menschen konfrontiert zu werden! "Klein-Kuwait", nennt mancher Zell am See liebevoll. Die Bildzeitung machte letztes Jahr daraus gar "Gaudi Arabien" (ein durchaus gelungener Kalauer, wie ich meine).

Tatsächlich sorgen die arabischen Gäste für hochgezogene Augenbrauen, teils auch für gerümpfte Nasen bei den Gästen aus Deutschland, Holland oder anderen nicht-muslimischen Staaten. Die erste Frage lautet für gewöhnlich, warum wir hier so viele "Vermummte" hätten. Tatsächlich vermuten nicht wenige, dass es sich hierbei um "Flüchtlinge" handle. Kein Wunder also, dass in den Medien von "Asyltouristen" die Rede ist - das müssen dann wohl die aus den Golfstaaten sein! Die mit ihren teuren Mobiltelefonen und den Prada-Taschen, welche ihnen gewiss das Innenministerium mit unseren Steuergeldern bereitgestellt hat. Irgendwie ist es ja fast schon putzig, dass Leute auf so eine Idee kommen. Und auf die selbe Art ist es erschreckend, wie einfach Vorurteile funktionieren: Kopftuch = Flüchtling oder Terrorist, je nach Belieben.

Es ist unbegreiflich, wie diese "Muselmänner" (ich zitiere hier nur einige der Begriffe, die ich in verschiedenen Gesprächen vernommen habe) überhaupt auf die Idee kommen, hier Urlaub machen zu müssen. In den begrenzten Horizonten vieler Menschen gibt es schlicht keine arabische Mittelschicht: Es gibt die "reichen Scheichs" und dann gibt es das arme, dumme Volk, das unter Kamelen lebt, zum islamischen Fundamentalismus neigt und unter der Woche Koransuren in den Wüstensand malt, während es wochenends die öffentlichen Hinrichtungen und Auspeitschungen besucht.
"Ach, die machen hier Urlaub?" staunen offene Münder, und werden just zu jenen "Ungläubigen", für die sie die Araber nach ihrem Verständnis wohl halten müssen.

Wenn man den "anderen Touristen" dann erklärt, aus welchen Motiven die "Kameltreiber" unter anderem unsere Region als besuchenswert erachten, wird alles sonnenklar. "Jaja, die haben ja nur Wüste! Die haben ja sonst nix!" - Ein verständnisvolles Jaja ist das, welches sich fast wie Mitleid anhören könnte, wäre da nicht dieses tiefe Misstrauen allem Muslimischen gegenüber. Man fühle sich trotzdem nicht wohl, heißt es dann. Es ist ein Nicht-Wohlfühlen, dessen Grund auch nach jahrelangem Nachfragen noch nie dingfest gemacht werden konnte. "Irgendwie komisch" sei es - das ist der kleinste gemeinsame Nenner des Unbehagens. Weil eigentlich seien sie "ja eh ganz nett" und auch "gar nicht laut". Oft klingt Überraschung aus solchen Sätzen, weil man sich Araber immer ganz anders vorgestellt hat: wütend und mit Schießgewehr nämlich.

Auch empfinde man es als angenehm, dass man bei den gewöhnlichen touristischen Aktivitäten wie Wandern oder Schwimmen "ja eh gar nichts mit denen zu tun" habe. (Als ob man sonst so viel mit ihnen "zu tun" hätte!)
Natürlich ist es aus Sicht des Einheimischen, der sich an den sommerlichen Anblick Zells über die Jahre hinweg gewohnt hat, etwas anderes als für den erstmaligen Zell-Besucher. Freilich fühlt man sich in der Unterzahl immer ein wenig verloren als Tourist. Aber das Maß der Empörung über die Touristen aus den Golfstaaten erreicht immer wieder beinahe ein komisches Ausmaß. Dahinter steht vielleicht das Gefühl, selbst ein Vorrecht auf die besuchte Region zu haben. So quasi: "Was tun die denn da? Jetzt nehmen die uns unser Zell am See weg!" Komisch ist das schon, weil ja ansonsten Touristen oft so tun, als wäre es ihnen nur Recht, möglichst wenig von ihren Landsmännern im Urlaub aushalten zu müssen. Wenn dann aber andere da sind, ist es auch wieder nicht gut.

Keine Angst, den Arabern geht es mittlerweile genauso. Denen sind auch zu viele Araber da. Es geht ihnen also gleich wie den Holländern, Deutschen oder Österreichern. Nur mit dem Unterschied, dass sie gerne Europäer sehen, weil die so nett und lustig seien. Wie sie das mit dem "lustig" meinen, habe ich noch nicht herausgefunden. Vielleicht meinen sie es auch ironisch.

Wer also sind jetzt die "anderen" und wem gehört Zell am See? Die Einheimischen meinen, ihnen gehöre es eigentlich - aber eigentlich schon lange nicht mehr. Die angestammte Kundschaft hat das Gefühl, jemand nehme ihnen "ihr" Zell weg. Und die Araber? Die sind so höflich und sehen sich als das, was sie sind: Gäste mit einem Abreisedatum. Gäste aber auch, die gerne wiederkommen, weil es ihnen hier gefällt.

Man wird sich daran gewöhnen müssen, anderen Kulturen nicht nur im eigenen Land, sondern eben auch im Urlaub zu begegnen. Das geht in manche Köpfe leider nicht hinein. Die Internationalisierung des Tourismus ist also nicht nur für die Destinationen eine große Herausforderung, sondern auch für ihre Besucher! Dem Fremden im Halbfremden zu begegnen und es anzunehmen, ohne Angst haben zu müssen, dass man selber zum Fremdling wird - ojeoje!

In Richtung Destinationen sei noch eine fromme Bitte angebracht: Wenn schon neue Märkte erschlossen werden, die sich außerhalb unseres europäischen Kulturkreises befinden (was nicht nur logisch, sondern auch gut und richtig ist), wäre es von Vorteil, auch die Region darauf vorzubereiten und dabei möglichst alle (Hotels, Restaurants, Handel, Bevölkerung) einzubinden. An was dabei alles zu denken ist, haben uns die letzten 15 Jahre mit unseren arabischen Gästen gelehrt. Diese wertvollen Erfahrungen sollten eigentlich gewinnbringend und professionell verwertet werden. Davon ist leider nichts zu spüren.

Dienstag, 11. August 2015

Gewöhnungseffekte

"Schau de Arawa on", gurrt der Herr mittleren Alters, der jeden Tag in der Fußgängerzone seine gespritzten Weißweine trinkt als wären sie Quellwasser. "So schod, dass eanane Weiwa vasteckn."
"Mhm", macht der andere Herr, der die Passion seines Gegenübers teilt. Das anregende Gespräch entfaltet sich in einem heiteren Reigen weinseliger Resignation:

"Und Fockn sands a, de Arawa", weiß der erste zu berichten.
"Jojo", sagt der andere.
"Autofoan kennans a nid, de Deppn"
"Na eh!"
"Kinda homms wia Flech! Owa eh kloa, de zoin a koane Steian!"
"Hmm!"
"Oaweitn tans oi as Kamötreiwa"
"Hmpf!"
"Und insane Schafin tadns am liabstn ausbliatn lossn!"
"Ageh!"
"Und grühn tadnsas am Balkon oda im Hotözimma!"
"Ho i scho gheat!"
"Und bettn tans am höichtn Toug mittn auf da Stroß!"
"A grausig!"
"An gonzn Toug im Bett liegn tans! Faul sands! Und auf d'Nocht stengans erscht auf!"
"A Luadavoik, a elentigs!"
"Nocha foans aufn Beag und do sitzns nua deppat do und schaund owi. Nid amoi wondan gengans!"
"Na oag!"
"Oda schwimma. Deafns jo nid. De gangatn jo unta med eanane Kaftan!"
"Jo, direkt owisaugn tats es!"
"Mit de Kuttn, dassma nix siagg. So schod. Wei fesche Weiwa hatatns scho!"
"Jo eh!"
"Unta de Kuttn homms as schenste Gwond!"
"Ah schau!"
"Und eikaffn tanns wia de Deppatn! De Gscheftsleit homm a Recht a Freid!"
"Aso?"
"Jo na, eh. San eh guat fiad d'Wirtschoft, woast scho?"
"Jojo, d'Wirtschoft!"
"Owa heapassn tans hoid a nid."
"Na üwahaupp nid."
"Und as Schlimmste, woast wos des Schlimmste is?"
"Wos eppa?"
"Saufn tans nix!"
"Ageh?!"
"Na, gou nix. Und wenn mia bei eana unt waratn, deafat ma a nix sauffn!"
"Sackra!"
"Des is a koa Lem nid!"
"Na, g'wiss nid!"
"Owa do mechat i a nia hi. Do is nua hoas und üwaroi nua Sondt"
"Wia in Italien!"
"Na, in Italien moggst wenigstens sauffn!"
"Ajo!"
"Na und Urlaub is des a koana fia de: An gonzn Tog nix doa!"
"Und nid amoi sauffn!"
"Koa Wunda, dass deanan fad weaschd!"
"So wia ins!"
"Wia ins? Ins is a nid fad!"
"Ajo! Mia sauffnd jo!"
"Sixtes!"

Zufrieden bestellen die beiden noch einen Spritzwein und sorgen so dafür, dass dem heimischen Gastgewerbe im Sommer nicht gänzliche die Luft ausgeht.

Montag, 3. August 2015

Der arabische Imperativ

Bei der Kommunikation mit unseren arabischen Gästen fällt seit geraumer Zeit eine Entwicklung auf, auf die hinzuweisen mir wert erscheint: Wir bemerken nämlich das Verschwinden eines sprachlichen Phänomens, dessen Ursprung ungewiss ist. Die Rede ist vom arabischen Imperativ: jener Befehlsform nämlich, welche die Kommunikation zwischen Österreichern und Arabern vor allem in den ersten Jahren massiv beeinträchtigt hat. Der arabische Imperativ trat vor allem in den folgenden Gesprächseröffnungen auf: "Give me", "tell me", "bring me" und "show me". Nahezu jeder Satzanfang enthielt eine dieser Varianten und machte so den weiteren Gesprächsverlauf für die österreichische Seite unangenehm. Da gab es kein Bitte und kein Danke und freilich auch keine konjunktivischen Höflichkeitsfloskeln, an die vor allem wir Österreicher so gewöhnt sind ("Entschuldigen's, gnä' Fräulein! Geh'ns bitt'schön, könnten's mir vielleicht einen Kaffee bringen, wenn's Zeit haben? Des wär fein, dank Ihnen!").

Im arabischen Englisch hieß es da ganz einfach: "Bring me coffee!". So eindeutig die Bestellung, so rauh der Ton. Das Bedienpersonal in den heimischen Kaffeehäusern bemühte sich stets darum, gesprächspädagogische Arbeit zu leisten, und so verbesserten viele die Bestellung um ein "please!", was nur selten zur Folge hatte, dass der arabische Kunde das auch nachsprach:

A: "Bring me coffee!"
B: "Please!"
A: "No, coffee!"
B: "Yes, but please! Bring me coffee, please!"
A: "I want coffee!"
B: "Please!"
A: ?!?!?

Vielfach wurde das den Gästen als reine Unhöflichkeit ausgelegt, die ihren Ursprung anscheinend darin haben soll, dass die Araber den Österreicher als eine Art Sklaven begreifen, dem es anzuschaffen gilt. Damit wurde nicht nur eine einfache Erklärung geliefert, die bloß auf die fremde Kultur verweist und damit genau gar nichts erklärt, sondern es wurden gleichzeitig auch willkommene Parallelen zu anderen Gästen, etwa den russischen gezogen. Gemeinsamer Nenner war da also die Arroganz der neureichen Völker, die uns in einer Art touristischen Feldzug zu Ausgebeuteten machen, weil uns ihr Geld mehr wert ist als ihnen selbst. Soweit, so gut - aber auch so unzureichend.

Denn wie erklärt es sich dann, dass der arabische Imperativ in den letzten Jahren zu einer Art gefährdeten Spezies geworden ist? Warum kommen mir immer mehr Zeller und Zellerinnen unter, die von den "überaus freundlichen Arabern" berichten, die höflichst (fast schon österreichisch) eine Auskunft erbeten, um sich dann ebenso überschwänglich zu bedanken?
Aus "Tell me! Where is lake?" wurde so etwas: "Hello, my friend, how are you? Excuse me, can you tell me where can I find the lake?" (je nach Sprachfähigkeit, versteht sich!)

Irgendwer muss es den Gästen gesagt haben, dass ein "Please" bei uns gern gehört wird. Oder es ist schlicht eine Generationenfrage, denn man sieht allein schon am Satzbau und am verwendeten Wortschatz, dass die umständlichere und höflichere Formulierung meist von solchen Arabern verwendet wird, deren Englisch zumindest passabel ist.
Die Zwischenform, jenes Vehikel, das die Kommunikation vom arabischen Imperativ zum "arabischen Schmäh" (wie ich die neue Form der Anrede nennen möchte, weil sie schon teils groteske Züge trägt) ist das gute, alte "Excuse me!". Dieses pseudohöfliche Zwitterwesen diente und dient noch als Phrase, um die Aufmerksamkeit des Angesprochenen auf sich zu lenken. Kaffeehauskellner können wohl ein Lied davon singen, wie sie zwischen lauter "Excuse me!"-rufenden Arabern umherspringen mussten und es teilweise immer noch müssen.

Der ersten Urlaubergeneration war das "Excuse me!" rein als sprachliches Mittel bekannt, mit dem man sich bemerkbar machen kann. Mit Höflichkeit hatte es noch wenig zu tun. Erst, als die Araber dahinterkamen, dass wir es gerne haben, wenn man Bitte und Danke sagt, erlangte das "Excuse me!" auch die Bedeutung einer höflicheren Gesprächseröffnung, als gleich per arabischen Imperativ mit der Tür ins Haus zu fallen. Dennoch: Es war nie gemeint, dass man sich tatsächlich für irgendetwas entschuldigte (wofür auch?). Und so schnell lässt sich das "Excuse me!" auch nicht aus dem Sprachgebrauch vertreiben, funktioniert es ja noch allzu gut. Erstens, weil es als sprachliches Mittel zur Gesprächseröffnung anerkannt ist; und zweitens, weil man doch niemandem böse sein kann, der sich erst einmal entschuldigt für alles, was noch kommen mag.

Sei es also eine reiseerfahrenere Generation, deren Englisch besser ist als das ihrer Eltern, die den arabischen Imperativ zum Verschwinden gebracht hat, oder sei es die bloße Einsicht (oder die Information durch jemand Dritten), dass man mit gebrüllten Befehlen nicht so weit kommt wie mit höflichem Fragen: Die Tage, an denen ein grimmig dreinschauender Araber mit einem "Give me umbrella!" einen Regenschirm verlangt, dürften wohl - bis auf wenige Ausnahmen - gezählt sein. Das Zauberwort heißt Information!


Samstag, 25. Juli 2015

Aufi mursi!

Bekanntlich haben unsere Gäste aus dem Morgenland eine andere Zeitwahrnehmung als wir. Nicht nur das - immer wieder verwundern sie mit eigenartigem Timing bei der Planung ihrer Aktivitäten. Beispiele dafür gibt es ja viele, nun diene aber ein exemplarisches zur Illustration der Synchronizitätsprobleme zwischen Morgen- und Abendland:

Herr A. ist geübter Selamsi-Urlauber und man sollte meinen, er wisse über die Betriebszeiten der Bergbahnen ungefähr Bescheid. Dass aber die Seilbahn nur bis 17 Uhr fährt ("five o'clock in the afternoon!?"), bereitet ihm bei jedem Nachfragen erneut die größte Überraschung. Schließlich, so scheint es, beginnt der arabische Tag nie vor vier Uhr Nachmittag und reicht bis weit in die Nacht.

Nun gut, diesmal waren es nicht die Betriebszeiten der Bahn allein, die Herrn A. Schwierigkeiten machten - oder sollte man lieber sagen "machen sollten", denn er selbst nahm wenig Anstoß daran, was jeden anderen sich eine Seilbahnfahrt gründlich überlegen ließe: Um 16 Uhr, also eine Stunde vor dem Schließen der Seilbahn, zog nämlich heftiger Sturm auf und es regnete wie aus Kübeln. Zuvor schien 7 Stunden lang die Sonne und kaum ein Wölkchen trübte die Fernsicht, die man vom Gipfel der Schmittenhöhe gehabt hätte - wäre man da schon hinaufgefahren.

Herr A. aber, nachdem er den bisherigen Tag einkaufend und auf dem Zimmer sitzend zugebracht hatte, kam um Punkt 16 Uhr an die Rezeption und fragte nach den Seilbahnzeiten. Mit einem prüfenden Blick aus dem Fenster vergewisserte ich mich, dass es draußen durchaus noch wild stürmte und Platzregen vom Himmel fiel - schließlich kann sich das Wetter in den Bergen ja minütlich ändern. Doch tatsächlich: Immer noch sintflutartiger Regen und Wind, so wild, dass ich die Blumenkisteln einzeln rumpeln zu hören glaubte.

Herr A. ließ sich durch meinen Blick aus dem Fenster von seinem Vorhaben nicht abbringen. Ich versicherte ihm jedoch, dass eine Auffahrt mit der Seilbahn am morgigen Tag lohnender wäre. Erstens, weil es nur noch eine Stunde bis zur Schließung dauere, und zweitens, weil das Wetter weder der Seilbahnfahrt selbst, noch der zu erwartenden Aussicht besonders zuträglich sei. Freilich ließ ich mich nicht zu komplizierten Erklärungen hinreißen und sagte bloß: "Tomorrow it's better!" und schickte dem zweifelnden Blick des Herren A. noch ein "trust me!" hinterher. Enttäuscht zog sich dieser wieder auf sein Zimmer zurück, um sicherlich am Balkon dem ungewohnten Naturschauspiel beizuwohnen.