Donnerstag, 5. Juni 2014

Wer hat Angst vorm schwarzen Schleier?

Es ist ein bisschen wie im Kindergarten. Einer schreit "Wer hat Angst vorm Schwarzen Mann?", die Meute antwortet: "Niemand!" Auf die folgende Frage "Wenn er aber kommt?" wird "Dann laufen wir davon!" gesagt. Die Ironie an dem Spiel liegt bemerkenswerterweise darin, dass die Flüchtenden gar nicht davon laufen, sondern dem "Schwarzen Mann" geradewegs in die Arme. Wer gefangen wird, wird zudem selbst zum Schwarzen Mann, so lange, bis es nur noch Schwarze Männer gibt. Doch das Spiel, das mittlerweile zu Recht nicht mehr so heißt, zeigt in seiner Dramaturgie eine menschliche Grundbefindlichkeit auf: Dass wir uns zu etwas hingezogen fühlen, das wir eigentlich fürchten. Wir wollen flüchten, aber vorher wollen wir es gesehen haben, uns vergewissert haben, dass es da ist, also wahrhaftig existiert. Erst dann können wir davon rennen und am liebsten ist es uns, wenn wir fast erwischt worden wären; wenn wir in letzter Sekunde entkommen sind.

Was hat das nun mit unseren arabischen Gästen zu tun? Es hat mit der leider mehrfach getätigten und vielfach zitierten Äußerung zu tun, man könne in Zell nicht mehr an das Seeufer gehen, weil es dort vor "schwarzen Schleiern" nur so wimmle. Dann ist meistens auch schon Schluss mit der Auseinandersetzung. Anscheinend ist allein die Feststellung Begründung genug. Fragt man weiter, was denn nun der Grund dafür wäre, dass das Seeufer unbegehbar sei, kommen nur diffuse Erklärungen, dass "alles schwarz" sei und überhaupt gehe es zu wie auf dem Basar. Jemand hat also Angst vorm Schwarzen Mann bzw. vor dem schwarzen Schleier der arabischen Frauen. Vielleicht ist mit der Angst zu viel benannt, vielleicht ist es nur eine undeutliche Störung des persönlichen Wohlbefindens, die einen befällt, wenn man abends am See spazieren geht.

Doch was steckt dahinter, hinter diesem Unwohlsein, das anscheinend so viele verspüren? (So viele sind es in Wahrheit gar nicht, aber es reicht, wenn diese wenigen ein paar Sekunden Fernsehzeit bekommen, um ihrem Unwohlsein Ausdruck zu verleihen).
Um es gleich zu sagen: Ich kann das Gefühl nachvollziehen. Ja, ich habe es auch schon selbst verspürt. Aber wer es beim Spüren dieser diffusen Angst bewenden lässt und der Ursache des Gefühls nicht nachspürt, der vertut eine Chance, sich seiner Angst zu stellen und sie zu überwinden. Wie beim Spiel im Kindergarten, wenn man auf der einen Seite der Turnhalle stehen bleibt, weil man glaubt, man könne der Spieldynamik durch Passivität entgehen. Nur, dass man beim Spiel dann selbst zum "schwarzen Mann" wird; in der Realität aber steht man einfach so im Abseits und muss den anderen dabei zusehen, wie sie sich an ihrem Dasein erfreuen.

Mehrere Faktoren sind es, die uns beunruhigen, wenn wir allein durch arabische Menschengruppen am Seeufer spazieren. Ich versuche diese einmal ganz allgemein zu benennen:

1.) Das Schwarze: Die meisten Frauen, vor allem aus dem konservativen Saudi-Arabien, tragen einen schwarzen Niqab. Für uns Europäer ist die Farbe Schwarz symbolisch ein Zeichen von Trauer. Wir verbinden damit auch Bedrohliches, schließlich ist Schwarz die Farbe der Nacht und des Schattens - ganz allgemein: der Abwesenheit des Lichtes (lies: des Deutlichen, Aufgeklärten). Insofern gibt es in unserem Kulturkreis so gut wie keine positive Konnotation der Farbe Schwarz. Ein paar weniger Ausnahmen bietet unsere Mode (das Kleine Schwarze, ein schwarzer Frack): Im besten Fall können wir dem Schwarzen noch etwas Geheimnisvolles oder Edles abgewinnen. Zwar wissen wir, dass es sich in anderen Kulturen mitunter anders verhält, aber von Kindesbeinen an Erlerntes lässt sich schwer wegdenken.

2.) Das Verhüllte: Der Niqab dient der Verhüllung, und Verhüllung ist uns suspekt. Wir möchten am liebsten alles offengelegt haben, alles soll sichtbar und einsehbar sein. Grenzen kennen wir nur, wenn es um unsere Scham und unsere Bankkonten geht, kurzum: um das Private. Wer verhüllt, hat etwas zu verbergen, also prinzipiell schon einmal Dreck am Stecken. Das gilt für den Nachbar, der eine Sichtschutzwand aufstellt oder eine Hecke einpflanzt, und vor allem für den Politiker, der nicht zu allen Fragen Stellung nimmt. Dass wir noch ein fernes Verhältnis zum Reiz der Verhüllung unterhalten, merken wir höchstens daran, dass wir spärlich bekleidete Menschen jenen vorziehen, die sich ganz nackt zur Schau stellen. Der voyeuristische Trieb, der uns allen innewohnt, lebt schließlich von der Zurückhaltung; davon, dass uns etwas vorenthalten wird. Wird uns zu viel vorenthalten, entlädt sich der unbefriedigte Trieb in Frustration - oder ablehnende Aggression. (Wem das zu freudianisch ist, der halte sich an den ersten Teil des Absatzes. Wem das zu wenig freudianisch ist, den kann ich nur beruhigen, indem ich versichere, von Freud nur wenig Ahnung zu haben)

3.) Die Uniformierung: Einheitliche Kleidung symbolisiert Zusammenhalt. Zusätzlich verstärkt wird dieser Effekt durch Einfarbigkeit. Arabische Frauen nehmen wir als einfarbig Uniformierte war. Plötzlich stehen wir inmitten einer saudischen Frauenarmee - Hilfe! Ähnliches kann man erfahren, wenn man durch Wien spaziert, um eine falsche Ecke biegt und plötzlich inmitten violetter oder grüner Austria- bzw. Rapidanhänger steht. Das ist ebenso unangenehm, liegt aber (meistens) weniger an den Menschen selbst, als an dem unmittelbaren Gefühl, da nicht dazuzugehören. Viele gleich aussehende Menschen gleichen einem größeren Etwas. Man kennt das aus dem Tierreich, wo sich zum Beispiel ein Schwarm kleiner Fische die Gestalt eines großen Fisches gibt, um abschreckend zu wirken. Aber dafür, dass wir die Rapid-Fans oder die arabischen Frauen als bedrohlich empfinden, können die selber nichts. Erstere legen es vielleicht sogar darauf an, letzteren aber kann man solche Absichten wohl nicht unterstellen.
Blöd nur, dass wir medial darauf trainiert wurden, in der arabischen Kleidung etwas Bedrohliches zu sehen. Die Nachwirkungen des 11. September samt amerikanischer medialer Hyperventilierung lassen grüßen! Es wäre an der Zeit, nicht mehr unter jedem Schleier Sprengstoffgürtel zu vermuten...

Zu diesen drei Elementen gesellt sich zusätzlich noch jenes des Fremden, das gleichzeitig über allem steht: Wir hören eine fremde Sprache, wir blicken in fremde Gesichter, wir nehmen fremde Gerüche war. Das Fremde war immer schon anziehend und abstoßend zugleich. Man schützt sich davor, indem man sich in seine eigene Gruppe zurückzieht, oder man sucht danach, indem man ferne Länder bereist. Wenn uns das Fremde irritiert, und uns durch Mechanismen Angst macht, die wir ganz leicht durch ein bisschen rationales Denken als harmlos erkennen können, dann sind wir selbst schuld. Wenn wir uns Angst machen lassen vor etwas, von dem wir wissen, dass es in Wahrheit unbedenklich ist, dann erliegen wir einem kindlichen Gefühl - der Angst vor dem Krampus oder eben dem "Schwarzen Mann". Kindliche Gefühle können verlockend sein, weil sie uns an eine Zeit erinnern, in der noch andere für uns gedacht haben und andere für uns verantwortlich waren. Vielleicht hatten wir einen heimlichen Spaß an der Angst vor eingebildeten Gefahren, weil wir wussten, dass es einen Papa und eine Mama gibt, die alle Gefahren bannen können und uns nie im Leben etwas zustoßen wird, solange unsere Eltern auf uns aufpassen.

Doch als erwachsene Menschen haben wir unsere Vernunft und unsere Lebenserfahrung. Wir haben selbstständiges Denken und leben in einem friedlichen Europa, in dem wir gelernt haben, anderen Menschen und Kulturen respektvoll und neugierig zu begegnen. Vielleicht erinnern wir uns selber ab und zu daran; und vielleicht laufen wir dann dem Schwarzen Mann in die offenen Arme. "Wenn er aber kommt?" - "Dann lachen wir ihm zu!"

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