Mittwoch, 27. August 2014

Der Schläfer

Irgendwas scheint falsch zu sein an der Bezeichnung "Morgenland". Ja, die Sonne geht im Osten auf, aber der Araber merkt davon bis Mittag nichts. Denn erst wenn sie am Abend wieder untergeht, wird der arabische Gast aktiv. Vielleicht ist das seine Vorstellung von Urlaub im Abendland, und er hält sich allzu akkurat daran. Vielleicht liegt es auch daran, dass man in heißen Regionen tagsüber sowieso nicht viel machen kann, und das Leben dort eher am späteren Nachmittag beginnt und dafür bis spätnachts andauert. Mit unserem Verständnis von einem Werktag können Araber jedenfalls nur wenig anfangen. So erntet man immer wieder erstaunte Blicke, wenn man den Gästen, die um 17 Uhr noch mit der Seilbahn auf den Berg fahren wollen, erklärt, selbige sei schon geschlossen. Wann diese dann morgen wieder aufsperre, möchten sie dann oft wissen. An ihren Gesichtern lässt sich erkennen, dass halb 9 keine Uhrzeit ist, die für ihre Tagesgestaltung irgendeine Relevanz besitzt.

Legt man ihnen hingegen den dreimal wöchentlich stattfindenden Seezauber ans Herz, der erst um 10 Uhr abends beginnt, erhellen sich ihre Gesichter wieder. Doch die Araber können kaum glauben, dass in einem Land, in dem es Menschen geben soll, die schon um halb acht frühstücken, in dem man nach vier Uhr nachmittags so gut wie nichts mehr zu sehen bekommt und in dem um sechs Uhr Buslinien aufhören zu fahren, dass in so einem Land es also eine Veranstaltung geben soll, die erst um 22 Uhr anfängt. "10pm?", fragen deshalb viele ungläubig. Genauso ungläubig wie manche deutschen Gäste, denen das naturgemäß zu spät ist: "Ach, erst um zehn? Ne, das schaffn'wa nich mehr!" Tja, unterschiedliche Kulturen, unterschiedliche Tagesrhythmen...

Die Schlafhungrigkeit unserer arabischen Gäste führt aber nicht nur dazu, dass viele von ihnen das Frühstück versäumen. Manch einer, der von österreichischer Marmelade und Liptauer so angetan ist, dass er sich doch vor halb 10 aus dem Bett quält, geht kurzerhand nach dem Frühstück wieder schlafen. Von einer erzieherischen Sorgfalt gepackt, ermahnt man den Gast, er solle doch zeitig aus dem Haus gehen, sonst würde er wieder zu spät zur Seilbahn kommen. "But I sleep so good!", heißt es dann entschuldigend, und da ist man dann als Vermieter ja auch wieder froh. Solange der Gast freiwillig um des Schlafes willen die Sehenswürdigkeiten auslässt, ergibt sich ja noch kein Problem. Erst, wenn er versucht, beides unter einen Hut zu bekommen, tauchen gewisse Schwierigkeiten auf.

So fragte mich ein Herr, dessen Frau tagelang alleine zum Frühstück erschienen war, weil der Göttergatte bis 14 Uhr zu schlafen pflegte, ob ich ihm ein Taxi organisieren könnte, er wolle nämlich gerne zur Eisriesenwelt nach Werfen fahren. Am Telefon sagte mir der Taxiunternehmer, dass eine solche Fahrt natürlich möglich sei, man allerdings mit sehr langen Wartezeiten rechnen müsse. Während der Hauptsaison könne es nämlich manchmal vier Stunden dauern, bis man überhaupt in die Eishöhle hinein käme. Es gelte also, die Fahrt rechtzeitig, nämlich so früh wie möglich anzutreten, weil besagte Eishöhle um fünf schließe.
Ich teilte dies dem Gast mit und betonte, mit Rücksicht auf seine speziellen Schlafgewohnheiten, besonders den Teil mit der frühen Abfahrt. "Aha", sagte dieser nur, und dass er dann wohl erst morgen diesen Ausflug werde machen können.

Am nächsten Tag wartete ich den ganzen Vormittag auf den Schläfer und war gespannt, ob er seinen Plan in die Tat umsetzen würde. Als seine Frau nach dem Frühstück wieder ins Zimmer verschwand und von ihrem Gatten auch bis Mittag nichts zu sehen war, ging ich davon aus, dass er seine Pläne wohl ad acta gelegt hatte. Umso überraschender war dann sein Auftritt um halb drei: Mit schläfrigen Augen hielt er mir das Prospekt von der Eisriesenwelt unter die Nase und sagte bloß "Call him! I want to go!". Ich unterließ sämtliche Erklärungen, sagte nur "okay" und griff zum Hörer. Der Taxiunternehmer erzählte mir wieder von den ungeheuerlichen Wartezeiten in Werfen, und dass er gerne bereit sei, einen Fahrer zu schicken, er aber dem Gast nicht garantieren könne, dass er auch tatsächlich in die Eishöhle hinein könne. Ich übersetzte das dem Gast in der Form, dass es heute unmöglich sei, nach Werfen zu fahren, weil dort derartige Menschenmassen auf den Einlass in die Eishöhle warteten, dass mit Wartezeiten von bis zu drei Stunden gerechnet werden müsse. Es sei für ihn deshalb in Anbetracht der momentanen Uhrzeit und eingerechneter Fahrzeit ein Ding der Unmöglichkeit, heute noch die Eisriesenwelt zu bestaunen.

Daraufhin blickte mich der Gast enttäusch an und fragte: "But when should I go?" Mit meiner Antwort, dass es umso besser sei, je früher man diesen Ausflug startete, war er sichtlich unzufrieden. Trotzdem versicherte er mir, sich für den morgigen Tag alle Mühe zu geben, zeitiger aufzustehen, denn er wolle unbedingt diese Eisriesenwelt besuchen.

So staunte ich nicht schlecht, als der Schläfer am nächsten Tag zwar nicht zum Frühstück erschien, aber doch um elf Uhr an der Rezeption stand und mich abermals bat, das Taxi zu rufen. Ich tat wie mir geheißen und freute mich ein bisschen für ihn, denn man sah ihm deutlich an, welch große Mühe ihm das frühe Aufstehen bereitet hatte. Als das Taxi dann vor der Türe stand und er mit seiner Frau das Haus über die Treppe hinab verließ, schien es, als müsste er sich bei ihr einhaken, so schwächlich war er aufgrund des Schlafentzugs auf den Beinen.

Das Fazit seines Ausflugs fiel dann nüchtern aus: "Very nice, but very crowded. We had to wait soo long!" Die Erleichterung aber, dass er es in die Eishöhle geschafft hatte, stand ihm doch ins Gesicht geschrieben. Da es der Tag vor seiner Abreise war, ließ er mich noch wissen: "Please, tomorrow you wake me! Call me at nine o'clock. And if I'm not down here at 9:15, knock on my door!" Sein ehrliches Bemühen rührte mich fast ein wenig und ich versprach ihm, ihn am nächsten Morgen zu wecken.

Zu meinem Erstaunen verlief die Abreise problemlos, denn tatsächlich fand sich der Schläfer um viertel nach neun an der Rezeption zum Check-Out ein. Er lobte unser Haus und die Region, sagte, es sei sein bisher schönster Urlaub gewesen, ganz besonders aber lobte er die Betten, die ihm so gute Dienste erwiesen hatten. Bei der Verabschiedung gaben wir ihm noch den Rat mit auf dem Weg, er möge doch beim nächsten Mal ein wenig früher aufstehen, dann könne er auch ein bisschen was unternehmen, schließlich habe er es während seines 6-tägigen Aufenthalts gerade einmal auf das Kitzsteinhorn geschafft und für die Eisriesenwelt ganze drei Anläufe benötigt.
Daraufhin lachte seine Frau ein Lachen, das man nur herzlich nennen kann, und schnatterte ihm etwas auf Arabisch zu, von dem wir nur zu gern gewusst hätten, was es bedeutete. Sein Gesichtsausdruck aber ließ uns in der Gewissheit zurück, dass sie uns wohl Recht gegeben hat.

Freitag, 22. August 2014

Aber, aber, der Araber!

Aber, aber, der Araber!
Der Ahmed, was macht er, was zahlt er?
Was er bei uns tut und nicht
erzählt das folgende Gedicht:


Sommers flüchten die Araber
Hammad, Faez, Abdulaziz,
nach Zell am See ins Paradies,
die Brüder warn ja auch schon da!


Hier wird der liebe Araberer
nicht ganz zu unsrem Haberer.
Zu unterschiedlich ist er schlicht:
Denn unser Bier, das mag er nicht!


Lieber trinkt er Schlangentrank,
bittren Kaffee aus dem Morgenland,
mit Karadmom und Zimt versetzt,
was freilich unsre Kultur verletzt.


Aber, aber, der Araber,
trägt ein schwarzes Kleid er gar?
Hat er Bart und trägt Sandalen,
Ja, das ist wahrlich sonderbar!


"Owe!", schreit auch der Hotelier,
"der Gast missbraucht arg mein Bidet!
Wäscht sich Füß und Händ darin,
betet dann nach Mekka hin!


Er isst am Boden mit den Händen,
so ein Wüstling, ein verkehrter!
Die Kinder schmieren auf den Wänden,
und ohne Pfann' brät auf dem Herd er!


Das Zimmer sieht fürchterlich aus, oweh,
ich verlang ihm das Doppelte - juchee!
Mit ihm reden will ich nicht,
verständnislos blick ich in sein Gesicht."


Auch im Auto stellt der Araber
im Pinzgau im Sommer die größte Gefahr dar.
Im Rückwärtsgang und ohne Gurt
fährt er mit seinen Kindern furt!


Trägt sein Geld zum nächsten Bauer,
kauft ein Schaf und wir sind sauer.
Schächten darf er bei uns nicht,
pfui Teufel, so ein grober Wicht!


Der soll gefälligst Schweine fressen
wie jeder hier in Österreich!
Was gut genug für Sepp und Hias,
ist gut genug auch für den Scheich!


Oh Abdrakadabra, die Frau'n der Araber!
Was tragen sie unter dem schwarzen Schleier?
Ich weiß es: drei Kandelaber, schwarzes Haar,
fünfzehn Parfums und vier Kilo Eier!


Denn unter der Kuttn ist's gut munkeln,
ihr Gesicht liegt ganz im Dunkeln,
Fürchterlich, die schwarzen Augen!
Dass die sich bei uns sowas trauen?


Das kann nicht sein, dass ihr so seid,
schaut rein in unsren Benimm-Guide!
Ihr findet darin rein und pur
den Kern der abendländischen Kultur:


Anständig essen, aufrecht sitzen,
nicht das Essen im Zimmer erhitzen,
für den Müll auf der Straße müsst ihr büßen,
Freiherr von Knigge lässt herzlich grüßen!


Aber, aber, der Araber,
ist er nicht dein Haberer?
Willst ihm deine Hand nicht geben,
gönnst ihm nicht das schöne Leben?


Urlaub darf der keinen haben,
soll sich daheim im Sand eingraben,
soll mit seinem Geld sich schleichen,
denn wir haben Hofer-Reisen!


Aber, aber, am Araber,
lassen wir kein gutes Haar.
Nächsten Sommer, liebe Zeller,
sperren wir sie in die Keller!
Und nähert sich der Ramadan,
rama dann die Terrassen zam.

Freitag, 8. August 2014

Die Weltreise nach Kaprun

Dass die Gäste aus den Golfstaaten gerne mit dem Auto unterwegs sind, kann man derzeit in und um Zell am See sehr gut beobachten. Das Auto ist dem Araber in Selamsi Nutzding und Status-Symbol zu gleichen Teilen. Die Autovermieter freut's, die vom Verkehr geplagten Zeller weniger. Nichtsdestotrotz: Selamsi-Saprun will erkundet werden, und wo der "Teleferik" nicht hinfährt, da kommt das Auto zum Einsatz - und umgekehrt. Denn der Fußmarsch ist dem arabischen Gast eine Denkunmöglichkeit und ihm von daher schon gar nicht vorschlagbar. Die erstauntesten Blicke auf Erden kann man ernten, wenn man einem Araber ans Herz legt, doch einmal das Auto stehen zu lassen, und die Umgebung per pedes zu erkunden!

Weil man nie genau weiß, wo man sich befindet und wo man eigentlich hin will, ist ist auch das GPS-Gerät entsprechend wichtig. Da Araber kein sehr entspanntes Verhältnis zu Post-Adressen haben, müssen also am besten die entsprechenden Koordinaten her. Der Tourismusverband hat diese mittlerweile ja für jede Sehenswürdigkeit in den Informationsbroschüren angeführt. Doch selbst die nackte Tatsächlichkeit der kalten Koordinaten vermag viele Gäste nicht zu überzeugen. So zum Beispiel einen jungen Herren aus Riad, der, nachdem er die Koordinaten für die Seilbahnstation in Kaprun in sein Navigationsgerät eingegeben hat, wieder ungläubig zur Rezeption kommt und mir das Ding unter die Nase hält. "This right?", fragt er verunsichert. Ich versichere ihm, dass der auf dem Bildschirm angezeigte Ort tatsächlich der heiß ersehnte "Teleferik" ist, der ihn ins ewige Eis bringen soll. "But where teleferik?" - so leicht lässt sich der Herr nicht abspeisen, denn er kann sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass in diesem engen Tal, das sein Navi ihm digital bestens aufbereitet anzeigt, irgendwo eine Seilbahn sein soll. Ich versichere ihm abermals, dass es die richtige Adresse ist, und er sich ruhig darauf verlassen kann, an dortiger Stelle einen "Teleferik" vorzufinden.

Aber ihn scheint auch die Fahrtzeit zu irritieren, denn obwohl das Navigationsgerät diese korrekt anzeigt, fragt er: "How long drive?" Ich blicke auf das Gerät, deute auf die Zahl und sage: "Sixteen Minutes!" Der Araber schaut auch auf das Display, blickt mich aber an, als hätte ich gerade einen offensichtlichen Blödsinn geredet. "Six-Teen? No sixty?" - "No, six-teen!", betone ich geduldig. Er ist stutzig; nicht nur, dass er mir nicht ganz zu trauen scheint, er traut auch seinem Navigationsgerät nicht. Vielleicht liegt es daran, dass auch dieser Gast eine schier unglaubliche Reisezeit von München nach Zell am See gehabt hat, denn er hatte bei seiner Ankunft behauptet, er wäre 10 Stunden unterwegs gewesen. (Bei seinen undeutlichen Ausführungen war bemerkenswerterweise auch das Wort "Switzerland" gefallen.)

"Sixteen, ha?", fragt er nochmal und blickt mich an, als würde er jeden Moment erwarten, dass das Team von Versteckte Kamera sich endlich zu erkennen gibt. "Yes", sage ich erneut und ich versuche es so versichernd wie nur möglich klingen zu lassen: Es ist ein beruhigendes, leicht gedehntes "Yes", dessen "s" galant nachzischt - aber nicht zu viel, denn jeder Kubikmilimeter Luft, der durch meine Zähne strömt, kann das Misstrauen meines Gastes schon wieder zum Auflodern bringen. Schnell schicke ich noch ein "It's not far!" hinterher, um alle Zweifel entgültig zu zerstreuen.
Er blickt noch einmal auf das Display, die 16 scheint vor seinen Augen einen beschwörenden Tanz aufzuführen. Kurz bevor ich das Gefühl habe, dass er nun glaubt, dass er nun endlich Gewissheit erfährt, mit sich, mir und dem Gerät im Reinen ist, sieht er mir in die Augen wie ein kleines Kind, welches das Ergebnis einer Rechenaufgabe mehr geraten als errechnet hat, und er sagt: "Minutes or hours?"

Sonntag, 27. Juli 2014

Einmal Wien und zurück

Teil 2 der irrwitzigen Erfahrungen mit sonderbaren geographischen Vorstellungen

Ein Freund erzählte mir einmal von einer Zugfahrt von Salzburg nach Wien: Im Waggon befand sich eine arabische Familie, die sich angeregt unterhielt. Nun ist der Zug ohnehin schon ein für arabische Gäste ungewöhnliches Transportmittel. Ich kenne dieVorbehalte, die Araber den öffentlichen Verkehrsmitteln gegenüber haben. Oft erntete ich nach langen Erklärungen über Bushaltestellen und Abfahrtszeiten nur ungläubige Blicke ("Every half hour? Exactly!?") Ist aber der arabische Gast einmal erfolgreich mit dem Bus gefahren, hat er eine regelrechte Freude daran.
Die Familie im Zug von Salzburg nach Wien dürfte noch nicht allzu viel Erfahrung mit dem öffentlichen Verkehr gemacht haben. Jedenfalls hörte besagter Freund immer wieder die Zauberformel "Selamsi-Saprun! Selamsi-Saprun!", und erkannte als aufmerksamer Pinzgauer, dass hier nur Zell am See und Kaprun gemeint sein konnten. Nun wusste er allerdings nicht, ob die Familie von ihren Erlebnissen dort schwärmte, oder aber erst dorthin wollte...

Als die faden Landstriche entlang der Westbahnstrecke beim besten Willen keine Berge zeigen wollten, schien die Familie zunehmend unruhiger zu werden. Berge, Eis und Seen hatte man ihnen versprochen! Doch hier nur Felder, noch mehr Felder und graue Hügelflächen! Wieder hörte man sie angeregt diskutieren, und wieder fiel mehrmals die Formel "Selamsi-Saprun! Selamsi-Saprun!". Also beschloss der mitreisende Pinzgauer, die Gäste nach ihrer gewünschten Destination zu fragen. Tatsächlich antwortete der Vater der Familie: "Selamsi-Saprun!" Nun wusste der Einwohner der beschworenen Region um die Bredouille, in die sich die Familie unwissentlich selbst gebracht hat, und erklärte dem Familienoberhaupt die geographischen Gegebenheiten. Als der arabische Vater ihre missliche Lage vollkommen erfasst zu haben schien, fiel er freilich aus allen Wolken, waren sie doch stundenlang in die gänzlich falsche Richtung gefahren und jetzt schon kurz vor Wien!

Ob und wie die Familie dann noch nach Zell am See gelangte, weiß man nicht. Meistens aber gelangen sie immer hierher, auch wenn der Weg ein beschwerlicher ist. Schon öfter lauschte ich ungläubig den Erzählungen spät angekommener Gäste, die nicht auf direktem Weg nach Zell am See gekommen waren, sondern sich vielmehr in konzentrischen Kreisen ihrem Zielort genähert hatten. Das alte Motto "Ich weiß nicht, wo ich hin will, aber umso schneller bin ich dort" ist in solchen Fällen nur halb richtig. Aber wenn jemand (wie es auch schon geschehen ist) von München nach Zell am See acht Stunden braucht und behauptet, es wäre kein Stau gewesen, dann hat er bestimmt nicht nur eine Sache falsch gemacht...

Dienstag, 8. Juli 2014

Der Stern von Europa

Was die Einschätzung von Autodistanzen betrifft, liegen die arabischen Gäste nicht immer ganz richtig.

Die Arabische Halbinsel ist die größte der Welt: Sie misst 2,7 Millionen Quadratkilometer und es leben dort ca. 60 Millionen Menschen. Die Zahl der auf ihr liegenden Staaten ist allerdings überschaubar. Der größte von ihnen ist das Königreich Saudi Arabien. Fährt man dort mit dem Auto von Küste zu Küste, zum Beispiel vom westlichen Jeddah nach Dammam im Osten, ist man ca. 12 Stunden unterwegs. Das entspricht in etwa der Strecke von Salzburg nach Kopenhagen. Das lässt sich alles in wenigen Minuten mit Google Maps herausfinden. Jetzt hat man das, was man gemeinhin "eine Ahnung" oder eine "ungefähre Vorstellung" von den Auto-Distanzen in Saudi Arabien nennt.

In der Vorstellung der Araber ist aber Europa und vor allem Österreich viel, viel kleiner - oder viel, viel größer; je nachdem, wen man nach seinen Vorstellungen befragt. So erklärten mir einmal drei junge Männer aus Kuwait, sie wollten ein bisschen Europa mit dem Auto bereisen. Wo sie denn nach ihrem Aufenthalt in Zell am See hin wollten, habe ich sie gefragt. Ihre Antwort ließ mich die Augenbrauen hochziehen, denn ihre geplante Route hatte die folgenden Destinationen in genau dieser Reihenfolge:
  • München
  • Innsbruck
  • Wien
  • Prag
  • Budapest
  • Genf.

Ich fand es löblich, dass sich die jungen Herren auch für die sonst von arabischen Gästen weniger bereisten Städte Budapest und Prag interessierten. Trotzdem setzte ich mich an den Computer und machte mir die Mühe, per Google Maps ihnen ihre geplante Strecke in Fahrtstunden niederzuschreiben. Nun waren sie es, die die Augenbrauen hochzogen. "But is so small!", sagte einer von ihnen und meinte damit wohl Österreich. Als ich ihnen dann sagte, dass man in Österreich von einem Ende zum anderen gute sieben Stunden unterwegs sei, staunten sie und meinten, das entspreche etwa der Strecke von Kuwait nach Riyadh - für ihre Begriffe eine Weltreise! Wir verbrachten noch ein paar Minuten mit Google Maps und die drei einigten sich dann auf eine andere Route, die sich weniger sternförmig als die ursprüngliche Variante ausnahm.
Wo sie schlussendlich noch überall hinkamen, wage ich nur zu vermuten. Ich denke aber, dass die eine oder andere Stadt von ihrer Wunschliste gestrichen werden musste.

Montag, 9. Juni 2014

Völkerverständigung auf Pinzgauerisch

Araber, so die gängige Vorstellung, trinken keinen Alkohol. Dabei gibt es immer wieder welche, die sich in die heimischen Bars verirren. Manche trinken heimlich in einer Ecke ihr verbotenes Bier. Andere wiederum erfreuen sich ganz offen heiterer Geselligkeit. Ein solcher war Ibrahim, und folgendes ist passiert, als er auf einen lokalen Kampftrinker stieß:


Ibrahim hat große Hände, und er kann damit Musik machen. Dauernd klatscht, trommelt und schnippt er. Uns Eingeborenen versucht er, eine uns vollkommen unbekannte Art des Fingerschnippens beizubringen und lacht sich dabei halb tot, während wir wie die ersten Affen dastehen und mit kompliziertesten Verrenkungen unserer Handknochen genau gar keinen Ton erzeugen. Ibrahim schnippt vergnügt und macht das so laut, dass es fast in den Ohren weh tut, während uns bereits die Sehnen heiß werden und immer noch kein Ton zu vernehmen ist.

Schließlich hat er Nachsehen mit uns und zeigt uns etwas anderes: Er macht ein galoppierendes Pferd nach. Auch das geht in Kuwait anders als in Österreich, wo man sich mit Händeklatschen und Oberschenkelpatschen zufrieden gibt. Ibrahim benützt den Hohlraum zwischen seinen gefalteten, großen Händen, seine Stirn, seine Brust und schließlich erst den Oberschenkel. Wie die Töne entstehen, die das Geräusch eines galoppierenden Gauls viel überzeugender nachahmen als unser Klatsch-Patsch, bleibt uns verborgen. Niemand der Anwesenden versucht sich an dem 'kuwaitischen Gaul'; alle blicken nur bewundernd den fremden Mann an, der mit uns mindestens genauso viel Freude zu haben scheint, wie wir mit ihm haben. Daheim wird er wohl erzählen, wie er die Barkultur in Österreich befruchtet hat und die dort Ansässigen mit billigen Tricks zum Staunen brachte.

Der große Bernd, ein 2 Meter 10 hoher Hüne mit langem, fettigem Haar und Indiandergesicht, meint, er müsse Ibrahims Darbietungen etwas entgegensetzen und macht den 'abgeschnittenen Daumen', jenen Volksschultrick also, der dem Zuseher vorgaukeln soll, dass man die Spitze seines Daumens beliebig verschieben könne, während es sich in Wahrheit um den Daumen der zweiten Hand handelt. Ibrahim kichert belustigt und macht ein Gesicht, als ob er den großen Bernd fragen wollte, ob er ihn verarschen wolle. „This is trick that make little kid!“, sagt Ibrahim und deutet die ungefähre Körpergröße an, die solche Kinder haben, welche derartige Kunststücke aufführen.

Der große Bernd zeigt noch einen Trick – diesmal mit dem Feuerzeug: Er hält es mit ausgestrecktem Arm vor seinen Körper, lässt eine Flamme erscheinen und führt dann das Feuerzeug langsam über seinen Kopf. Dann bläst der große Bernd einmal kurz, und wie von Zauberhand erlischt die Flamme über seinem Haupt! Ein bezeichnendes und passendes Bild, Ibrahim aber fühlt sich schön langsam nicht mehr ganz ernst genommen vom großen Bernd. Es ist auch eine traurige Angelegenheit: Da packt der Kuwaiti einen guten Schmäh nach dem anderen aus, und der Zeller kann nur mit Gags aufwarten, die ein kritisches Kleinkindpublikum bei jedem Kindergeburtstag mit erbostem Schwedenbomben-Werfen quittieren würde.

Ibrahim aber ist barmherzig und führt weiter Kunststücke vor, erzählt Witze und macht mit seinem Körper Musik. Irgendwer muss ihm jetzt Einhalt gebieten, sonst hält er uns für einen unkreativen Haufen leicht zu beeindruckender Wilder (was wir vermutlich auch sind)!

Also fasst sich der große Bernd erneut ein Herz und greift tief in die Trickkiste: „Look!“, sagt er und hält Ibrahim Zeige- und Mittelfinger vor das Gesicht. „Hoffentlich kommt jetzt nicht wieder so etwas wie der abgesägte Finger!“, denke ich mir. Ibrahim schaut mehr freundlich als gespannt auf die beiden dicken Bernd-Finger. Auch er erwartet jetzt nichts Besonderes, seine Höflichkeit aber gebietet ihm, dem Bernd seine ganze Aufmerksamkeit zu schenken. Da taucht der Bernd die Finger in sein Bier, drückt sie von innen gegen das Glas und hebt so das Bier in die Höhe. Ibrahim lacht und klatscht – damit hat er zumindest nicht gerechnet! Mit einem Ruck lässt der große Bernd jetzt das Bierglas nach oben sausen, zieht die beiden Finger raus, fängt das Glas mit der selben Hand wieder auf und leert es in einem Zug. Ibrahim tobt, alle klatschen, der große Bernd streckt die Faust gen Himmel wie ein Boxer nach einem KO-Sieg. Sein Indianergesicht ziert ein breites Grinsen, halb von Freude, halb vom abendlichen Alkoholkonsum gezeichnet. „Give him another beer!“ ruft Ibrahim aufgeregt und legt auch gleich lachend das Geld hin. Jetzt hat ihn der große Bernd überzeugt!

Die Freude währt jedoch nicht lange, denn nachdem Ibrahim wieder ein paar Tricks vorgeführt hat, nimmt der große Bernd einen weiteren ersten und letzten Schluck von seinem Bier und wankt sodann rückwärts zur Türe hinaus. „I give up“, lässt er Ibrahim wissen und fällt beinahe in die Staude vor dem Lokal. Besorgt sieht Ibrahim ihm nach, dreht sich zu mir und sagt: „Is big man, hurt much when fall! - But good trick with beer! I will practice!“ Dann schnippt er wieder vergnügt und trommelt auf der Bar 1001 mir gänzlich fremde Rhythmen. Ein Abend der Völkerverständigung, des Kulturaustauschs und der Ehrenrettung durch einen Pinzgauer Kampftrinker geht zu Ende...

Donnerstag, 5. Juni 2014

Wer hat Angst vorm schwarzen Schleier?

Es ist ein bisschen wie im Kindergarten. Einer schreit "Wer hat Angst vorm Schwarzen Mann?", die Meute antwortet: "Niemand!" Auf die folgende Frage "Wenn er aber kommt?" wird "Dann laufen wir davon!" gesagt. Die Ironie an dem Spiel liegt bemerkenswerterweise darin, dass die Flüchtenden gar nicht davon laufen, sondern dem "Schwarzen Mann" geradewegs in die Arme. Wer gefangen wird, wird zudem selbst zum Schwarzen Mann, so lange, bis es nur noch Schwarze Männer gibt. Doch das Spiel, das mittlerweile zu Recht nicht mehr so heißt, zeigt in seiner Dramaturgie eine menschliche Grundbefindlichkeit auf: Dass wir uns zu etwas hingezogen fühlen, das wir eigentlich fürchten. Wir wollen flüchten, aber vorher wollen wir es gesehen haben, uns vergewissert haben, dass es da ist, also wahrhaftig existiert. Erst dann können wir davon rennen und am liebsten ist es uns, wenn wir fast erwischt worden wären; wenn wir in letzter Sekunde entkommen sind.

Was hat das nun mit unseren arabischen Gästen zu tun? Es hat mit der leider mehrfach getätigten und vielfach zitierten Äußerung zu tun, man könne in Zell nicht mehr an das Seeufer gehen, weil es dort vor "schwarzen Schleiern" nur so wimmle. Dann ist meistens auch schon Schluss mit der Auseinandersetzung. Anscheinend ist allein die Feststellung Begründung genug. Fragt man weiter, was denn nun der Grund dafür wäre, dass das Seeufer unbegehbar sei, kommen nur diffuse Erklärungen, dass "alles schwarz" sei und überhaupt gehe es zu wie auf dem Basar. Jemand hat also Angst vorm Schwarzen Mann bzw. vor dem schwarzen Schleier der arabischen Frauen. Vielleicht ist mit der Angst zu viel benannt, vielleicht ist es nur eine undeutliche Störung des persönlichen Wohlbefindens, die einen befällt, wenn man abends am See spazieren geht.

Doch was steckt dahinter, hinter diesem Unwohlsein, das anscheinend so viele verspüren? (So viele sind es in Wahrheit gar nicht, aber es reicht, wenn diese wenigen ein paar Sekunden Fernsehzeit bekommen, um ihrem Unwohlsein Ausdruck zu verleihen).
Um es gleich zu sagen: Ich kann das Gefühl nachvollziehen. Ja, ich habe es auch schon selbst verspürt. Aber wer es beim Spüren dieser diffusen Angst bewenden lässt und der Ursache des Gefühls nicht nachspürt, der vertut eine Chance, sich seiner Angst zu stellen und sie zu überwinden. Wie beim Spiel im Kindergarten, wenn man auf der einen Seite der Turnhalle stehen bleibt, weil man glaubt, man könne der Spieldynamik durch Passivität entgehen. Nur, dass man beim Spiel dann selbst zum "schwarzen Mann" wird; in der Realität aber steht man einfach so im Abseits und muss den anderen dabei zusehen, wie sie sich an ihrem Dasein erfreuen.

Mehrere Faktoren sind es, die uns beunruhigen, wenn wir allein durch arabische Menschengruppen am Seeufer spazieren. Ich versuche diese einmal ganz allgemein zu benennen:

1.) Das Schwarze: Die meisten Frauen, vor allem aus dem konservativen Saudi-Arabien, tragen einen schwarzen Niqab. Für uns Europäer ist die Farbe Schwarz symbolisch ein Zeichen von Trauer. Wir verbinden damit auch Bedrohliches, schließlich ist Schwarz die Farbe der Nacht und des Schattens - ganz allgemein: der Abwesenheit des Lichtes (lies: des Deutlichen, Aufgeklärten). Insofern gibt es in unserem Kulturkreis so gut wie keine positive Konnotation der Farbe Schwarz. Ein paar weniger Ausnahmen bietet unsere Mode (das Kleine Schwarze, ein schwarzer Frack): Im besten Fall können wir dem Schwarzen noch etwas Geheimnisvolles oder Edles abgewinnen. Zwar wissen wir, dass es sich in anderen Kulturen mitunter anders verhält, aber von Kindesbeinen an Erlerntes lässt sich schwer wegdenken.

2.) Das Verhüllte: Der Niqab dient der Verhüllung, und Verhüllung ist uns suspekt. Wir möchten am liebsten alles offengelegt haben, alles soll sichtbar und einsehbar sein. Grenzen kennen wir nur, wenn es um unsere Scham und unsere Bankkonten geht, kurzum: um das Private. Wer verhüllt, hat etwas zu verbergen, also prinzipiell schon einmal Dreck am Stecken. Das gilt für den Nachbar, der eine Sichtschutzwand aufstellt oder eine Hecke einpflanzt, und vor allem für den Politiker, der nicht zu allen Fragen Stellung nimmt. Dass wir noch ein fernes Verhältnis zum Reiz der Verhüllung unterhalten, merken wir höchstens daran, dass wir spärlich bekleidete Menschen jenen vorziehen, die sich ganz nackt zur Schau stellen. Der voyeuristische Trieb, der uns allen innewohnt, lebt schließlich von der Zurückhaltung; davon, dass uns etwas vorenthalten wird. Wird uns zu viel vorenthalten, entlädt sich der unbefriedigte Trieb in Frustration - oder ablehnende Aggression. (Wem das zu freudianisch ist, der halte sich an den ersten Teil des Absatzes. Wem das zu wenig freudianisch ist, den kann ich nur beruhigen, indem ich versichere, von Freud nur wenig Ahnung zu haben)

3.) Die Uniformierung: Einheitliche Kleidung symbolisiert Zusammenhalt. Zusätzlich verstärkt wird dieser Effekt durch Einfarbigkeit. Arabische Frauen nehmen wir als einfarbig Uniformierte war. Plötzlich stehen wir inmitten einer saudischen Frauenarmee - Hilfe! Ähnliches kann man erfahren, wenn man durch Wien spaziert, um eine falsche Ecke biegt und plötzlich inmitten violetter oder grüner Austria- bzw. Rapidanhänger steht. Das ist ebenso unangenehm, liegt aber (meistens) weniger an den Menschen selbst, als an dem unmittelbaren Gefühl, da nicht dazuzugehören. Viele gleich aussehende Menschen gleichen einem größeren Etwas. Man kennt das aus dem Tierreich, wo sich zum Beispiel ein Schwarm kleiner Fische die Gestalt eines großen Fisches gibt, um abschreckend zu wirken. Aber dafür, dass wir die Rapid-Fans oder die arabischen Frauen als bedrohlich empfinden, können die selber nichts. Erstere legen es vielleicht sogar darauf an, letzteren aber kann man solche Absichten wohl nicht unterstellen.
Blöd nur, dass wir medial darauf trainiert wurden, in der arabischen Kleidung etwas Bedrohliches zu sehen. Die Nachwirkungen des 11. September samt amerikanischer medialer Hyperventilierung lassen grüßen! Es wäre an der Zeit, nicht mehr unter jedem Schleier Sprengstoffgürtel zu vermuten...

Zu diesen drei Elementen gesellt sich zusätzlich noch jenes des Fremden, das gleichzeitig über allem steht: Wir hören eine fremde Sprache, wir blicken in fremde Gesichter, wir nehmen fremde Gerüche war. Das Fremde war immer schon anziehend und abstoßend zugleich. Man schützt sich davor, indem man sich in seine eigene Gruppe zurückzieht, oder man sucht danach, indem man ferne Länder bereist. Wenn uns das Fremde irritiert, und uns durch Mechanismen Angst macht, die wir ganz leicht durch ein bisschen rationales Denken als harmlos erkennen können, dann sind wir selbst schuld. Wenn wir uns Angst machen lassen vor etwas, von dem wir wissen, dass es in Wahrheit unbedenklich ist, dann erliegen wir einem kindlichen Gefühl - der Angst vor dem Krampus oder eben dem "Schwarzen Mann". Kindliche Gefühle können verlockend sein, weil sie uns an eine Zeit erinnern, in der noch andere für uns gedacht haben und andere für uns verantwortlich waren. Vielleicht hatten wir einen heimlichen Spaß an der Angst vor eingebildeten Gefahren, weil wir wussten, dass es einen Papa und eine Mama gibt, die alle Gefahren bannen können und uns nie im Leben etwas zustoßen wird, solange unsere Eltern auf uns aufpassen.

Doch als erwachsene Menschen haben wir unsere Vernunft und unsere Lebenserfahrung. Wir haben selbstständiges Denken und leben in einem friedlichen Europa, in dem wir gelernt haben, anderen Menschen und Kulturen respektvoll und neugierig zu begegnen. Vielleicht erinnern wir uns selber ab und zu daran; und vielleicht laufen wir dann dem Schwarzen Mann in die offenen Arme. "Wenn er aber kommt?" - "Dann lachen wir ihm zu!"

Freitag, 30. Mai 2014

Eine Aufregung

Die Arroganz kennt - im Gegensatz zur Gastfreundschaft - keine Grenzen!

Es ist schon phänomenal, was wir alles schaffen. Die neueste Errungenschaft der Zeller Öffentlichkeitsarbeit besteht in einem ZDF-Beitrag, in dem wir uns als recht primitiv denkende Mir-san-mir-Gebirgsvölkler verkaufen.

Zum einen ist da eine Hotelchefin zu sehen, die mit Arabern nichts mehr zu tun hat, weil sie sämtliche Register zieht, um diese Gäste nur ja von ihrem Hotel fernzuhalten - was, nebenbei bemerkt, ihr gutes Recht ist. Was sie an den verschleierten Frauen störe, wird sie von der Reporterin gefragt. Sie antwortet, dass man ja nie genau wisse, was darunter stecke. Schließlich gebe es ja auch Terroristen. (!)
Pikanterweise ist es ausgerechnet das Zweithotel dieser Familie, direkt am Zeller See, das seit vielen Jahren ein sehr gutes Geschäft mit den Arabern macht.  Und es war obendrauf der Sohn besagter Hoteldame, der noch vor kurzem in den Medien behauptet hat, die "Benimmfibel" für die Araber sei eine Art "Tourismus-Apartheid" und diskriminierend.

Diese Janusköpfigkeit ist leider symptomatisch in Zell am See. Immer wieder sind die größten Kritiker der "Araberflut" gleichzeitig ihre größten Nutznießer. Nach einem Alternativkonzept befragt, wird dann darauf verwiesen, dass man international breiter aufgestellt sein müsse, und das noch dazu im Hochpreissegment. (Als könnten sich Araber keine 5-Stern-Hotels leisten! Als würden irgendwelche fiktiven Schweizer der Berge und Seen wegen nach Österreich fahren!) Denn die deutschen Knauser-Touristen, die will man ja auch nicht. Und die saufenden Schweden wollte man auch nicht. Die polternden Russen will man schon überhaupt nicht.

Was man jetzt mit den Arabern anfangen soll, darüber herrscht Uneinigkeit. Zumindest hat sich die Stimmung schon ein wenig geändert, langsam scheint es auch tatsächlich einen Diskurs darüber zu geben, der Ansätze von Konstruktivität zeigt. Dass wir aber als vorgebliche Top-Tourismusregion es nicht verstehen, uns interkulturelle Kompetenzen anzueignen, um auch mit Gästen umgehen zu können, die nicht aus den unmittelbaren europäischen Nachbarstaaten kommen, ist traurig. Eigentlich haben wir die Chance vergeben, uns die Araber zu Freunden zu machen. Ganz Europa hätte von den Zellern lernen können, wie man mit diesen Menschen respektvoll umgeht und mit ihnen Geschäfte macht.

Vielleicht ist es jetzt zu spät dafür. Denn obwohl sich die Araber daran gewöhnt haben, von den Zellern freundlich ignoriert zu werden, trägt die derzeitige internationale (!) Berichterstattung vermutlich dazu bei, dass sie mitbekommen, wie anscheinend viele Zeller wirklich über sie denken. Unseren Status als Paradies, den wir uns allein wegen unseres landschaftlichen Reichtums (für den wir am allerwenigsten können), und nicht etwa auch durch gelebte Gastfreundschaft über die Jahre erarbeitet haben - den können wir ganz schnell wieder verlieren. Und dann tragen die Araber ihr Geld woanders hin und wir haben endlich wieder einen wirklichen Grund zu jammern.

Es sollte auch nicht unerwähnt bleiben, dass sich der Tourismusverband mit der Thematik in den letzten Jahren so gut wie gar nicht auseinandergesetzt hat. Jetzt gibt es eine Broschüre, die ihren Sinn und Zweck vielleicht erfüllen wird. Den ersten hat sie schon erfüllt, denn sie hat das Thema nun endlich der öffentlichen Diskussion zugeführt. Dies geschieht zwar auf teilweise unerwünschten Wegen, aber anstatt anständig und offen darüber zu sprechen, wird dem ZDF-Filmteam empfohlen, ihren Beitrag über die Araber in Zell am See "lieber nicht" zu bringen. Wie peinlich, wenn das im Beitrag dann auch noch explizit so gesagt wird!

Und dann sitzt die Chefin des Tourismusverbandes vor der Kamera und spricht in Bezug auf den "Kulturführer" davon, dass ja die Araber noch vor "zwei, drei Generationen Schaf- und Ziegenhirten" gewesen seien! Das mag zwar in der Sache nicht falsch sein, aber gibt das ein gutes Bild ab? (Und bitte vergessen wir auch nicht, dass dasselbe auch für viele Hoteliersfamilien in der Region gilt. Nur dass es da halt nicht Schafe und Ziegen waren, sondern Schweine und Kühe.) Das ist despektierlich und beschämend. Das klingt, als wollten wir Zeller mit einem kleinen Büchlein dem durch Zufall zu Geld gekommenen Beduinenvolk eine Kultur beibringen. So wollen wir uns dem heißgeliebten deutschen Publikum präsentieren? Gar der Welt?

Ich finde, wir könnten es gescheiter machen. Durch die alte Geschichte mit der Bildung und Aufklärung - das sprichwörtliche Blicken (und Denken!) über den Tellerrand. Durch Freundlichkeit und Offenheit. Durch Anständigkeit und die Bereitschaft, Probleme gemeinsam zu lösen. Mit gemeinsam meine ich sowohl alle Zellerinnen und Zeller zusammen (nicht nur Hotellerie und Handel). Und mit gemeinsam meine ich auch zusammen mit den Arabern.

Vielleicht finden sich bei der nächsten Veranstaltung, in der es um Verständnis und Kommunikation geht, ein paar Leute mehr. Denn bis jetzt sind vor allem jene Veranstaltungen gut besucht, in denen schön geschimpft werden kann. Das ist auch traurig. Das ist auch beschämend. Das können wir bestimmt besser!

Dienstag, 27. Mai 2014

Hot Milk

Folgende Begebenheit illustriert wunderbar die sprachlichen Probleme, die man mit arabischen Gästen haben kann. Viele sind des Englischen nicht oder nur ungenügend mächtig und so werden selbst die einfachsten Anfragen oft zu mühseligen Angelegenheiten. Dass in vielen Fällen ausgerechnet die Frauen als Helfer in der Not einspringen müssen, erfüllt mich persönlich immer wieder mit Genugtuung. In diesem Fall kam das so:

Am Frühstücksbuffet

Der Araber starrt unsicher in den Krug mit der kalten Milch. Hilfesuchend sieht er sich um.
"Can I help you?", frage ich. Er deutet auf den Krug und sagt "Milk! milk?!"
"Yes, it's milk", versuche ich seine Zweifel zu zerstreuen. Der Araber macht eine abwehrende Handbewegung. Dann scheint er mit einer Hand die Milch durchzustreichen.
"No milk?", frage ich verunsichert. "Yes, yes!" und wieder streicht er die Milch durch. Dann hebt er mit einer Hand die Milch etwas an und lässt die Handfläche der anderen mysteriös unter der Kanne kreisen. Es sieht aus als wollte er dem Krug etwas Zauberhaftes entlocken.
"Warm milk?", rate ich und imitiere seine Handbewegungen zaghaft. Der Araber sieht mich verstört an. Anscheinend habe ich jetzt etwas ganz Falsches gesagt.
"No, no, but..." sagt er und beschwört wieder den Krug. Ich möchte ihm ja wirklich helfen, doch ein Teil von mir wartet bereits darauf, dass die Milch auf die Handbewegungen des Arabers in irgendeiner Weise reagiert. So starren wir gemeinsam auf den Milchkrug und wissen nicht weiter.

Da kommt mir die Idee mit den Synonymen: "Hot milk? Warm milk? ... Milk warm, hot? ... Boil? ... Heat?", frage ich, während meinen Händen die absurdesten Gesten einfallen. So bilde ich mit meinen Fingern züngelnde Flammen nach, drehe an imaginären Gashähnen und schüttle die Hände als hätte ich sie mir gerade verbrüht.
Der Araber schaut entsetzt. - "Milk different?", erkundigt er sich und es klingt als frage er nach meiner geistigen Gesundheit.
"You want different milk? What milk? This is normal milk. You want soy milk? Low-fat milk?" - ich werde immer aufgeregter. Nicht, dass ich ihm mit Soja- oder Halbfettmilch dienen könnte, aber momentan interessiert mich einfach, was mir der Mensch mit seinen seltsamen Anstalten zu verstehen geben möchte.
Er wirkt etwas verzagt, sieht sich wieder hilfesuchend um; draußen sitzt seine Frau auf der Terrasse. Er deutet mir zu warten, lächelt schuldbewusst und verschwindet zu seinem Tisch. Ich bleibe stehen und untersuche inzwischen die Milch nach etwaigen Mängeln. Doch es scheint alles in Ordnung zu sein.

Der Araber kommt zurück und versucht es noch einmal: "Milk! I need milk milk!"
"Milk milk?", imitiere ich seine Babysprache belustigt.
"This milk, different!", und wieder beschwört er die Kanne. Er kann eigentlich nur warme Milch meinen, und schon drehe ich mich um, um dem armen Araber warme Milch zu holen, da sagt er "Wait!" und deutet mir, mitzukommen.
Ich folge ihm auf die Terrasse, doch kurz vor seinem Tisch zeigt er mir an, dass ich stehen bleiben solle. Er spricht aufgeregt mit seiner Frau. Dann ruft er mir etwas auf Arabisch zu. Ich hebe meine Augenbrauen und sehe beide abwechselnd fragend an. Schließlich gibt er auf, winkt mich an den Tisch und deutet vielsagend auf seine Frau.
"Hot milk, please!", murmelt diese unter ihrem Schleier hervor und in ihrer Stimme meine ich ein Lächeln zu hören, welches ich natürlich nicht sehen kann. Ich drehe mich triumphierend zu ihrem Mann und wiederhole: "Hot milk, you see! Warm milk! Hot milk!" Er nickt heftig mit dem Kopf, als hätte er nie irgendetwas anderes gesagt.
Erleichtert springe ich davon, und als ich wieder an ihren Tisch komme, wiederhole ich: "Hot milk! Warm milk!" - "Yes, yes!" nickt der Araber und lacht, weil er wohl wieder eine neue Vokabel gelernt hat.
Die Meinung seiner Frau zu diesem Thema kann ich nur vermuten, aber ich denke, sie hat sich gefreut, dass sie mit ihren Englischkenntnissen das Frühstück ein wenig gelungener gestalten konnte. Ob sich ihr Mann für sein schlechtes Englisch geschämt hat? Ich bezweifle es...

Sonntag, 25. Mai 2014

Überraschung mit Ankündigung

Ein ZDF-Filmteam schleicht durch die Zeller Innenstadt. Offenbar sind sie auf der Suche nach verschleierten Arabern und aufgebrachten Einheimischen in Lederhosen, die ihnen den Müll hinterherwerfen, den erstere achtlos liegen gelassen haben. Die Filmcrew muss enttäuscht sein, denn es schieben sich an diesem Sonntag Nachmittag nur ein paar deutsche Rentnergruppen müde durch die Straßen. Vielleicht können die Journalisten diese interviewen und fragen, ob sie ein paar von diesen sonderbaren Gästen aus dem Morgenland gesehen haben; und ob sie sich auch so gestört fühlten wie es die Einheimischen anscheinend vorgeben zu sein. Ob sie Erfolg hatten, weiß ich nicht, aber vielleicht verrät es uns demnächst das deutsche Fernsehen.

Nach ein paar Presseberichten (u.a. in der Süddeutschen Zeitung und der britischen Daily Mail), ist das Interesse an unserem kleinen Alpenparadies offenbar dramatisch gestiegen. Das alles seit der ORF-Journalist Karim El-Gawhary letzen Dienstag nach Zell geladen wurde. Eigentlich sollte er sein neues Buch vorstellen, doch im hiesigen Kongresszentrum, das bis auf den letzten Platz besetzt war (eine Premiere?), stand er einem aufgebrachten Zeller Publikum gegenüber. Er sollte sich nun zur regionalen 'Araberproblematik' äußern. Gescheiterweise hat er uns bloß daran erinnert, dass mit ein bisschen Aufgeschlossenheit und Respekt viele Probleme zu überwinden sind, und dass wir froh sein sollten, selbst keine gröberen zu haben. (Wie viele Menschen, die in der arabischen Welt geboren wurden und nicht das Glück haben, im Sommer Zell am See besuchen zu können).

Die "Benimmfibel für Araber" wirbelte viel Wüstenstaub auf in den letzten Tagen. Dieser trübte sowohl das Panorama wie auch die Stirn vieler kritischer Beobachter. Von Rassismus und Tourismus-Apartheid war da die Rede. Dabei erklären wir unseren arabischen Gästen nur unsere Kultur und wie es bei uns so zugeht. Für viele ist das hilfreich und viele andere wissen von ihren vorangegangenen Besuchen eh schon Bescheid. Und da liegt das Grundproblem, warum der ganze Bahoi, der um diesen Ratgeber gemacht wurde, überhaupt unsinnig ist: Weil er gefühlte 15 Jahre zu spät kommt. Weil sich die Zeller, anstatt sich mit ihren neuen Gästen auseinanderzusetzen, wie die kleinen Kinder die Augen und Ohren zugehalten haben in der Hoffnung, der böse Spuk möge bald vorbei sein. Als sie bemerkten, dass dies nicht so bald der Fall sein würde, fingen sie an, Schauergeschichten über die "Verschleierten" zu erzählen. Die Araber störte das natürlich nur wenig, denn sie wussten nichts davon. Nur, dass sie von den seltsamen Gebirglern nicht viel Freundschaftliches erwarten könnten, das mussten sie bald spüren. Es hat daher auch noch keiner von ihnen gesagt, dass er wegen der Menschen so gerne nach Österreich reisen würde...

Ausgrausigen hat nicht funktioniert, also arrangierte man sich so gut es ging, holte sich quasi die Feinde in die Hotelbetten. Jetzt kommt man plötzlich darauf, dass man ja auch mit ihnen reden könnte und gestaltet eine Broschüre, die den Gästen das erklärt, was wir ihnen während der letzten Dekade nicht verständlich machen konnten. (Nicht, weil sie es nicht kapierten, sondern weil wir es nicht versucht haben!) Dass wir nämlich auch nur Menschen sind, unsere eigene Kultur haben, und gerne Gäste da haben, die auch gewisse Regeln respektieren. Prinzipiell ein richtiger Schritt, aber, wie gesagt, ein später. Wer jetzt glaubt, wir drücken den Arabern eine Broschüre in die Hand und alles wird gut, hat nichts verstanden. Das ist alles erst der Anfang von etwas, was man heutzutage unter Völkerverständigung (oder interkulturellem Austausch) versteht. Gerne möchte ich Karim El-Gawhary Glauben schenken, wenn er auf seiner Facebook-Seite sagt: "Ich bin sicher, dass die Menschen in Zell am See die Probleme in den Griff bekommen, wenn sie aufgeschlossen bleiben."

Vielleicht sind auch viele froh, dass ahnungslose deutsche Filmteams gerade jetzt nach Zell kommen und nicht erst im August, wenn sie ihren Stationen auch die richtigen Bilder liefern können: Jene des schwarzen Horrors am "Golf von Österreich", tausende Araber in Motorbooten, Autos und auf Fahrrädern. Und möglicherweise kommen auch nächstes Wochenende noch ein paar Journalisten, wenn tausende Rentner aus Deutschland, Italien und der Schweiz die Zeller Straßen im Rahmen des Salzburger Musikfrühlings säumen - einer kurzen Veranstaltung ohne grässlich komplizierter Kulturgräben.

Mittwoch, 14. Mai 2014

Beim Barte des Propheten!

Bärte sind ja momentan um aller Munde. Nicht erst seit dem Songcontest-Sieg von Conchita Wurst erlebt die männliche Gesichtsbehaarung eine Renaissance. Ob Hipster-Wolle oder Dreitage-Bart - in vielen Männergesichtern sprießt wieder mehr oder weniger ansehnliches Haar. Ich persönlich habe seit einem guten dreiviertel Jahr einen 3-8-Tagesbart, je nach Saison bzw. Okkasion. So stutze ich gelegentlich vor wichtigen gesellschaftlichen Terminen, denn man will ja nicht ganz verwildert aussehen. Meine letzte Glattrasur liegt ca. 5 Monate zurück. Ausgerechnet am 1. Jänner dachte ich mir, man sollte wieder frisch ins neue Jahr starten, und so musste auch der Bart weg. Seitdem sah er nur den Trimmer, um allzu unartige Auswüchse in Grenzen zu halten.

Unsere arabischen Freunde halten ja viel von Bärten. Zwar trifft das noch nicht auf den weiblichen Teil der Bevölkerung zu, die meisten Männer allerdings lassen stolz Gesichtswiesen sprießen. Nicht zuletzt ist es der Glauben, der den Männern das Tragen eines Bartes vorschreibt. Interessanterweise pflegen die Muslime vor allem Backen- und Kinnbärte, nicht jedoch den hierzulande meistens wegen einer verlorenen Wette oder aus ironischen Gründen getragenen Schnurrbart. Es herrscht im Islam quasi eine dem österreichischen Bundesheer entgegengesetzte Bartregel: Alles geht und ist auch erwünscht, außer Schnurri! Wir sehen also: Schon allein an der Barttracht erkennen wir, dass potenzielle Dschihadisten es nicht darauf anlegen, mit chemischen oder biologischen Waffen ins Gefecht zu ziehen. Der Bart an Backen und Kinn verhindert nämlich das luftdichte Schließen der Schutzmaske (vulgo: des Gummizutzes).

Ist also der Bart ein Zeichen des Friedens? Müssen wir uns vor grimmig zitternden Bärten etwa nicht fürchten, sondern sie gar kraulen? Nun, so weit wollen wir nicht gehen. Aber wohl ist der Bart beim muslimischen Mann ein Ausdruck seines tiefen Glaubens und auch seiner Männlichkeit. Letzteres macht mir Kopfzerbrechen, denn auch ich erhoffe mir für den kommenden Sommer von meinem krausen Gesichtshaar eine seriöse Wirkung. Als Glattrasierter wird man doch von einem Rauschebart-Araber nicht ernst genommen! Ich hoffe nur, dass mein spärlicher Bartwuchs an den Backen die Araber nicht belustigt, denn dann hätte mein Bart ja den gegenteiligen Effekt: Statt Respekt einzubringen, gäbe er mich der Lächerlichkeit preis! Nicht, dass ich glaube, meine Gesichtsbehaarung würde großartig viel daran ändern, wie die Araber mir entgegentreten. Aber da ich nunmal schon eine habe, bin ich doch gespannt, ob der eine oder andere Vollbart-Araber mir anerkennend die Hand schüttelt und mich zu meinem jämmerlichen Versuch beglückwünscht.

Den Schnurrbart aber lasse ich trotzdem stehen. Mein fleckiges Acker an den Backen muss nicht noch durch einen fehlenden Bart unterhalb der Nase untergraben werden. Auch möchte ich nicht fälschlicherweise für einen Muslim gehalten werden, oder - noch schlimmer - für einen Österreicher, der sich den arabischen Gästen soweit anbiedern will, dass er sogar deren Barttracht übernimmt. Schließlich empfange ich ja die deutschen Gäste auch nicht in Wanderstutzen...

Sepp Rasser

Nicht tatsächlich so passiert, aber es könnte durchaus so gewesen sein. Da wir uns mit den Arabern über die englische Sprache verständigen, treten mitunter beiderseitige Verständnisschwierigkeiten auf, die oft auch mit der Aussprache zu tun haben...


„Sepp Rasser? I don't know a Sepp Rasser! I am Moslechner!“ Der Mann, der das sagt, fuchtelt abwehrend mit den Händen als wolle er mit dieser ganzen Sache am liebsten gar nichts zu tun haben. Der arabische Kunde beugt sich etwas über den Ladentisch, als habe er das Fuchteln als Einladung zum Näherkommen verstanden: „But man next door tell me you are Sepp Rasser!“

Der vermeintliche Sepp Rasser steht jetzt ganz an der Wand seines kleinen Trachtengeschäfts. Dort, an der Wand hinter der Kassa, hängen einige Kinderlederhosen und -dirndln. Würde man ihn fotografieren, mit seinem lichten Schnauzbart und den kleinen schwarzen Augen, sähe der Mann jetzt aus wie ein belgischer Pädophiler auf Alpenurlaub. Dem Araber fällt so etwas natürlich nicht auf. „You have dress for girrl?“ fragt er, noch eindringlicher als er vorher nach Sepp Rasser gefragt hat. Nun dringt aus dem hinteren des Raums ein hektisches Abrakadabra. Eine der fünf Frauen hält ein Dirndl hoch und es sieht aus, als würde sie damit anzeigen, dass sie es war, die geredet hat. Für den Sepp Rasser hinter dem Ladentisch wäre das nämlich nicht zu erkennen gewesen, tragen doch alle Frauen einen Schleier vor dem Gesicht.

Wütend dreht sich der Araber um und schreit irgendetwas in Richtung seiner Frau. Er scheint beleidigt zu sein, dass die Frau zuerst gefunden hat, wonach sie gesucht haben. „You show!“ sagt er zum Sepp Rasser, der eigentlich Moslechner Alois heißt, und zeigt dabei auf ihn. Ängstlich kommt der Alois aus seiner Ecke hervor und wuselt hinter dem Araber her. Drei Kleinkinder haben begonnen, die kleinen Stoffmurmeltiere, die pfeifen, wenn man sie drückt, zu betätigen. Indessen sind die arabischen Frauen in aufgeregtes Geplapper verfallen. Nacheinander werden alle Dirndln herausgezogen, die der Alois in seinem nicht allzu großen Geschäft hängen hat. Das Pfeifen der Plüschmanggerl sticht dem Alois schon in den Ohren als einer der drei Buben – oder ein vierter? - auch noch die Kuhglocken findet, die der Moslechner Alois schon seit den frühen 80ern im Geschäft hängen hat, und die sich damals noch gut verkauft haben; bis der Markt eben irgendwann gesättigt war, oder die Leute begriffen haben, dass sie mit einer Kuhglocke daheim im Grunde gar nichts anfangen können und dass auch das ästhetische Wohlempfinden beim Anblick einer solchen nur eine kurze Halbwertszeit hat.

Das Gebimmle, Gepfeife und Geplapper muss der Alois jetzt dulden, denn er ist schon längst nicht mehr Herr über seinen Laden. „What price for this?“ fragt der Araber streng, und der Alois greift schnell nach dem Preisschild. Es hat ihm vor ein paar Tagen jemand gesagt, dass Araber gut Ziffern lesen können, weil wir die von ihnen gelernt haben. Seitdem zeigt der Loisl den arabischen Gästen immer nur Preisschilder, um Missverständnissen vorzubeugen. Ein anderer Araber, der an einer kleineren Kuhglocke interessiert gewesen war, hat ihn zum Beispiel einmal nach dem Preis gefragt. Da hat der Loisl die Kuhglocken noch nicht beschriftet gehabt und dem Araber gesagt „Thirty two!“, worauf der Araber entgegnete: „Aha! But I only want one! So one fifteen?“ Der Rest des Gesprächs verlief nur weniger umständlich und nötigte den Alois dann ohnehin dazu, den Preis auf einen Zettel zu schreiben.

Der Araber inspiziert das Preisschild des Dirndls; auch die Frauen schauen neugierig darauf, während im Hintergrund weiter die Murmeltiere pfeifen und die Kuhglocken bimmeln. Als das Bimmeln aufhört, wird der Loisl misstrauisch und schaut kurz über seine Schulter. Eines der Kinder hat sich einen Filzhut aufgesetzt und rennt damit bei der Tür hinaus. Auch der arabische Vater merkt, was passiert ist und lässt einen lauten Fluch los. Sofort erscheint der Bub wieder in der Türe. „What price for hat?“ Der Loisl stürmt zum Hutregal, kommt mit einem Filzhut zurück und hält ihn dem Araber vor die Nase. „I buy“, sagt der Araber kurz und deutet dabei auf seinen Sohn. Auch die anderen beiden haben nun von den Murmeltieren gelassen und drehen jetzt an den Postkartenständern. Wieder sagt eine der Frauen etwas, wieder kann der Loisl nicht ausmachen, welche es gewesen ist.

Der Araber deutet auf das Dirndl, zieht die Augenbrauen hoch und sagt: „Discount!“ - Es ist keine Frage. Der Moslechner Alois antwortet: „No discount“, und klingt dabei fragend. „But I buy hat!“ sagt der Araber aufgebracht. - „Yes, but no, but...“ Wieder flucht der Araber etwas und die Frauen brechen in erneutes Gegacker aus. „You don't give discount?“, die Stimme klingt jetzt sanfter. „I don't have discount!“ entgegnet der Moslechner entschuldigend. „But you can give discount, no?“ - diese Frage verwirrt den Alois jetzt.

„No discount!“, sagt er mit Nachdruck. Der Araber brummt. „I take this and hat“, sagt er und hält ihm eines von den Dirndln hin. Der Moslechner Alois nimmt das Dirndl, wundert sich darüber, wie jemand ein Dirndl kaufen kann, ohne es vorher anzuprobieren, entschließt sich aber dazu, lieber keine weiteren Fragen zu stellen.

Wieder pfeift ein Murmeltier. Einer der Buben hat das Interesse an dem Postkartenständer verloren und ist zurück zu den Plagegeistern. „What's this?“ fragt der Araber und deutet Richtung Murmeltiere. „Äh... a Manggei!“ sagt der Loisl in Ermangelung der passenden englischen Vokabel. „Is animal, ha? Live here?“ - Der Araber scheint auf dem richtigen Weg zu sein, deswegen nickt der Loisl heftig. „I take!“ sagt der Kunde und schreit etwas Grimmiges, worauf der kleine arabische Junge mit dem Murmeltier zur Kassa gelaufen kommt. „So I take this, this and hat. No discount, ha?“, auf dem Gesicht des Arabers zeigt sich ein fast ironisches Lächeln. Da muss der Loisl blöd grinsen und lacht: „No discount!“, worauf sich das Gesicht des Arabers gleich wieder verfinstert. Der Postkartenständer quietscht und taumelt unter den immer wilder werdenden Drehungen, die er, angetrieben von den Händen des kleinen Arabers, zu vollführen hat.

Als der Loisl das Geld des Arabers nimmt, klatscht ein Päckchen Ansichtskarten auf den Boden. Der Vater stürmt zum Postkartenständer, hält diesen abrupt an, worauf sich weitere zwei Päckchen auf dem Boden verteilen. Laut fluchend scheucht er das Kind aus dem Laden. „I am sorry!“, sagt der Araber, „no, passt scho!“ der Loisl.

Nach Erledigung des Zahlungsgeschäftes fragt der Kunde noch ein letztes Mal „You are not Sepp Rasser, no?“ und lacht ein bisschen. Gut aufgelegt, weil er ein gutes Geschäft gemacht hat und die scheinbare Bedrohung dabei ist, sich zu verziehen, sagt der Loisl erleichtert: „No, I am not Sepp Rasser.“ - „But man next door say you Sepp Rasser!“ Der Araber wirkt verwirrt und auch der Loisl schaut sein Gegenüber verblüfft an. „I was talking to man next door. I ask who sell Austrian dress for women. He tell me: Sepp Rasser!“ (Tatsächlich ist es nämlich so, dass der Bruder vom Moslechner Alois, der Moslechner Rupert, gleich nebenan ein Spezialitätengeschäft führt.)

Der Araber fährt in seiner umständlichen Erklärung fort: „I tell him I want to go to Moslecker! He say that he is Moslecker, but for dress I have to go to Sepp Rasser! And he show me to go in here!“ Nun ging dem Moslechner Alois ein Licht auf. Der Araber wurde wohl wegen eines Dirndls zum „Moslechner“ geschickt und landete – durchaus folgerichtig – im Geschäft seines Bruders. Da es in einem Spezialitätengeschäft aber keine Dirndln gab, sondern nur Schweinsbäuche und ähnliches, für Araber ganz und gar unbrauchbares, musste der Bruder den Araber wohl zu ihm herein geschickt haben!

In diesem Moment erscheint der Moslechner Rupert grinsend in der Tür. Der Araber deutet auf ihn und scheint vergnügt: „Look, this man send me here!“, sagt er aufgeregt. Der Rupert kommt in den Laden herein, deutet auf den Loisl und sagt: „Ah, ei sie ju faund mei Brasser!“

Der Araber fragt: „This is Sepp Rasser?“ - „Yes!“, sagt der Rupert und legt stolz den Arm um seinen Bruder: „dis is mei Brasser!“
„See!“, ruft der Araber stolz und schaut den Alois in der überzeugendsten Weise an: „You are Sepp Rasser! But why you call yourself Moslecker?“

Auch der Rest dieses Gesprächs verlief wieder einmal nicht unkompliziert...