Montag, 9. Juni 2014

Völkerverständigung auf Pinzgauerisch

Araber, so die gängige Vorstellung, trinken keinen Alkohol. Dabei gibt es immer wieder welche, die sich in die heimischen Bars verirren. Manche trinken heimlich in einer Ecke ihr verbotenes Bier. Andere wiederum erfreuen sich ganz offen heiterer Geselligkeit. Ein solcher war Ibrahim, und folgendes ist passiert, als er auf einen lokalen Kampftrinker stieß:


Ibrahim hat große Hände, und er kann damit Musik machen. Dauernd klatscht, trommelt und schnippt er. Uns Eingeborenen versucht er, eine uns vollkommen unbekannte Art des Fingerschnippens beizubringen und lacht sich dabei halb tot, während wir wie die ersten Affen dastehen und mit kompliziertesten Verrenkungen unserer Handknochen genau gar keinen Ton erzeugen. Ibrahim schnippt vergnügt und macht das so laut, dass es fast in den Ohren weh tut, während uns bereits die Sehnen heiß werden und immer noch kein Ton zu vernehmen ist.

Schließlich hat er Nachsehen mit uns und zeigt uns etwas anderes: Er macht ein galoppierendes Pferd nach. Auch das geht in Kuwait anders als in Österreich, wo man sich mit Händeklatschen und Oberschenkelpatschen zufrieden gibt. Ibrahim benützt den Hohlraum zwischen seinen gefalteten, großen Händen, seine Stirn, seine Brust und schließlich erst den Oberschenkel. Wie die Töne entstehen, die das Geräusch eines galoppierenden Gauls viel überzeugender nachahmen als unser Klatsch-Patsch, bleibt uns verborgen. Niemand der Anwesenden versucht sich an dem 'kuwaitischen Gaul'; alle blicken nur bewundernd den fremden Mann an, der mit uns mindestens genauso viel Freude zu haben scheint, wie wir mit ihm haben. Daheim wird er wohl erzählen, wie er die Barkultur in Österreich befruchtet hat und die dort Ansässigen mit billigen Tricks zum Staunen brachte.

Der große Bernd, ein 2 Meter 10 hoher Hüne mit langem, fettigem Haar und Indiandergesicht, meint, er müsse Ibrahims Darbietungen etwas entgegensetzen und macht den 'abgeschnittenen Daumen', jenen Volksschultrick also, der dem Zuseher vorgaukeln soll, dass man die Spitze seines Daumens beliebig verschieben könne, während es sich in Wahrheit um den Daumen der zweiten Hand handelt. Ibrahim kichert belustigt und macht ein Gesicht, als ob er den großen Bernd fragen wollte, ob er ihn verarschen wolle. „This is trick that make little kid!“, sagt Ibrahim und deutet die ungefähre Körpergröße an, die solche Kinder haben, welche derartige Kunststücke aufführen.

Der große Bernd zeigt noch einen Trick – diesmal mit dem Feuerzeug: Er hält es mit ausgestrecktem Arm vor seinen Körper, lässt eine Flamme erscheinen und führt dann das Feuerzeug langsam über seinen Kopf. Dann bläst der große Bernd einmal kurz, und wie von Zauberhand erlischt die Flamme über seinem Haupt! Ein bezeichnendes und passendes Bild, Ibrahim aber fühlt sich schön langsam nicht mehr ganz ernst genommen vom großen Bernd. Es ist auch eine traurige Angelegenheit: Da packt der Kuwaiti einen guten Schmäh nach dem anderen aus, und der Zeller kann nur mit Gags aufwarten, die ein kritisches Kleinkindpublikum bei jedem Kindergeburtstag mit erbostem Schwedenbomben-Werfen quittieren würde.

Ibrahim aber ist barmherzig und führt weiter Kunststücke vor, erzählt Witze und macht mit seinem Körper Musik. Irgendwer muss ihm jetzt Einhalt gebieten, sonst hält er uns für einen unkreativen Haufen leicht zu beeindruckender Wilder (was wir vermutlich auch sind)!

Also fasst sich der große Bernd erneut ein Herz und greift tief in die Trickkiste: „Look!“, sagt er und hält Ibrahim Zeige- und Mittelfinger vor das Gesicht. „Hoffentlich kommt jetzt nicht wieder so etwas wie der abgesägte Finger!“, denke ich mir. Ibrahim schaut mehr freundlich als gespannt auf die beiden dicken Bernd-Finger. Auch er erwartet jetzt nichts Besonderes, seine Höflichkeit aber gebietet ihm, dem Bernd seine ganze Aufmerksamkeit zu schenken. Da taucht der Bernd die Finger in sein Bier, drückt sie von innen gegen das Glas und hebt so das Bier in die Höhe. Ibrahim lacht und klatscht – damit hat er zumindest nicht gerechnet! Mit einem Ruck lässt der große Bernd jetzt das Bierglas nach oben sausen, zieht die beiden Finger raus, fängt das Glas mit der selben Hand wieder auf und leert es in einem Zug. Ibrahim tobt, alle klatschen, der große Bernd streckt die Faust gen Himmel wie ein Boxer nach einem KO-Sieg. Sein Indianergesicht ziert ein breites Grinsen, halb von Freude, halb vom abendlichen Alkoholkonsum gezeichnet. „Give him another beer!“ ruft Ibrahim aufgeregt und legt auch gleich lachend das Geld hin. Jetzt hat ihn der große Bernd überzeugt!

Die Freude währt jedoch nicht lange, denn nachdem Ibrahim wieder ein paar Tricks vorgeführt hat, nimmt der große Bernd einen weiteren ersten und letzten Schluck von seinem Bier und wankt sodann rückwärts zur Türe hinaus. „I give up“, lässt er Ibrahim wissen und fällt beinahe in die Staude vor dem Lokal. Besorgt sieht Ibrahim ihm nach, dreht sich zu mir und sagt: „Is big man, hurt much when fall! - But good trick with beer! I will practice!“ Dann schnippt er wieder vergnügt und trommelt auf der Bar 1001 mir gänzlich fremde Rhythmen. Ein Abend der Völkerverständigung, des Kulturaustauschs und der Ehrenrettung durch einen Pinzgauer Kampftrinker geht zu Ende...

Donnerstag, 5. Juni 2014

Wer hat Angst vorm schwarzen Schleier?

Es ist ein bisschen wie im Kindergarten. Einer schreit "Wer hat Angst vorm Schwarzen Mann?", die Meute antwortet: "Niemand!" Auf die folgende Frage "Wenn er aber kommt?" wird "Dann laufen wir davon!" gesagt. Die Ironie an dem Spiel liegt bemerkenswerterweise darin, dass die Flüchtenden gar nicht davon laufen, sondern dem "Schwarzen Mann" geradewegs in die Arme. Wer gefangen wird, wird zudem selbst zum Schwarzen Mann, so lange, bis es nur noch Schwarze Männer gibt. Doch das Spiel, das mittlerweile zu Recht nicht mehr so heißt, zeigt in seiner Dramaturgie eine menschliche Grundbefindlichkeit auf: Dass wir uns zu etwas hingezogen fühlen, das wir eigentlich fürchten. Wir wollen flüchten, aber vorher wollen wir es gesehen haben, uns vergewissert haben, dass es da ist, also wahrhaftig existiert. Erst dann können wir davon rennen und am liebsten ist es uns, wenn wir fast erwischt worden wären; wenn wir in letzter Sekunde entkommen sind.

Was hat das nun mit unseren arabischen Gästen zu tun? Es hat mit der leider mehrfach getätigten und vielfach zitierten Äußerung zu tun, man könne in Zell nicht mehr an das Seeufer gehen, weil es dort vor "schwarzen Schleiern" nur so wimmle. Dann ist meistens auch schon Schluss mit der Auseinandersetzung. Anscheinend ist allein die Feststellung Begründung genug. Fragt man weiter, was denn nun der Grund dafür wäre, dass das Seeufer unbegehbar sei, kommen nur diffuse Erklärungen, dass "alles schwarz" sei und überhaupt gehe es zu wie auf dem Basar. Jemand hat also Angst vorm Schwarzen Mann bzw. vor dem schwarzen Schleier der arabischen Frauen. Vielleicht ist mit der Angst zu viel benannt, vielleicht ist es nur eine undeutliche Störung des persönlichen Wohlbefindens, die einen befällt, wenn man abends am See spazieren geht.

Doch was steckt dahinter, hinter diesem Unwohlsein, das anscheinend so viele verspüren? (So viele sind es in Wahrheit gar nicht, aber es reicht, wenn diese wenigen ein paar Sekunden Fernsehzeit bekommen, um ihrem Unwohlsein Ausdruck zu verleihen).
Um es gleich zu sagen: Ich kann das Gefühl nachvollziehen. Ja, ich habe es auch schon selbst verspürt. Aber wer es beim Spüren dieser diffusen Angst bewenden lässt und der Ursache des Gefühls nicht nachspürt, der vertut eine Chance, sich seiner Angst zu stellen und sie zu überwinden. Wie beim Spiel im Kindergarten, wenn man auf der einen Seite der Turnhalle stehen bleibt, weil man glaubt, man könne der Spieldynamik durch Passivität entgehen. Nur, dass man beim Spiel dann selbst zum "schwarzen Mann" wird; in der Realität aber steht man einfach so im Abseits und muss den anderen dabei zusehen, wie sie sich an ihrem Dasein erfreuen.

Mehrere Faktoren sind es, die uns beunruhigen, wenn wir allein durch arabische Menschengruppen am Seeufer spazieren. Ich versuche diese einmal ganz allgemein zu benennen:

1.) Das Schwarze: Die meisten Frauen, vor allem aus dem konservativen Saudi-Arabien, tragen einen schwarzen Niqab. Für uns Europäer ist die Farbe Schwarz symbolisch ein Zeichen von Trauer. Wir verbinden damit auch Bedrohliches, schließlich ist Schwarz die Farbe der Nacht und des Schattens - ganz allgemein: der Abwesenheit des Lichtes (lies: des Deutlichen, Aufgeklärten). Insofern gibt es in unserem Kulturkreis so gut wie keine positive Konnotation der Farbe Schwarz. Ein paar weniger Ausnahmen bietet unsere Mode (das Kleine Schwarze, ein schwarzer Frack): Im besten Fall können wir dem Schwarzen noch etwas Geheimnisvolles oder Edles abgewinnen. Zwar wissen wir, dass es sich in anderen Kulturen mitunter anders verhält, aber von Kindesbeinen an Erlerntes lässt sich schwer wegdenken.

2.) Das Verhüllte: Der Niqab dient der Verhüllung, und Verhüllung ist uns suspekt. Wir möchten am liebsten alles offengelegt haben, alles soll sichtbar und einsehbar sein. Grenzen kennen wir nur, wenn es um unsere Scham und unsere Bankkonten geht, kurzum: um das Private. Wer verhüllt, hat etwas zu verbergen, also prinzipiell schon einmal Dreck am Stecken. Das gilt für den Nachbar, der eine Sichtschutzwand aufstellt oder eine Hecke einpflanzt, und vor allem für den Politiker, der nicht zu allen Fragen Stellung nimmt. Dass wir noch ein fernes Verhältnis zum Reiz der Verhüllung unterhalten, merken wir höchstens daran, dass wir spärlich bekleidete Menschen jenen vorziehen, die sich ganz nackt zur Schau stellen. Der voyeuristische Trieb, der uns allen innewohnt, lebt schließlich von der Zurückhaltung; davon, dass uns etwas vorenthalten wird. Wird uns zu viel vorenthalten, entlädt sich der unbefriedigte Trieb in Frustration - oder ablehnende Aggression. (Wem das zu freudianisch ist, der halte sich an den ersten Teil des Absatzes. Wem das zu wenig freudianisch ist, den kann ich nur beruhigen, indem ich versichere, von Freud nur wenig Ahnung zu haben)

3.) Die Uniformierung: Einheitliche Kleidung symbolisiert Zusammenhalt. Zusätzlich verstärkt wird dieser Effekt durch Einfarbigkeit. Arabische Frauen nehmen wir als einfarbig Uniformierte war. Plötzlich stehen wir inmitten einer saudischen Frauenarmee - Hilfe! Ähnliches kann man erfahren, wenn man durch Wien spaziert, um eine falsche Ecke biegt und plötzlich inmitten violetter oder grüner Austria- bzw. Rapidanhänger steht. Das ist ebenso unangenehm, liegt aber (meistens) weniger an den Menschen selbst, als an dem unmittelbaren Gefühl, da nicht dazuzugehören. Viele gleich aussehende Menschen gleichen einem größeren Etwas. Man kennt das aus dem Tierreich, wo sich zum Beispiel ein Schwarm kleiner Fische die Gestalt eines großen Fisches gibt, um abschreckend zu wirken. Aber dafür, dass wir die Rapid-Fans oder die arabischen Frauen als bedrohlich empfinden, können die selber nichts. Erstere legen es vielleicht sogar darauf an, letzteren aber kann man solche Absichten wohl nicht unterstellen.
Blöd nur, dass wir medial darauf trainiert wurden, in der arabischen Kleidung etwas Bedrohliches zu sehen. Die Nachwirkungen des 11. September samt amerikanischer medialer Hyperventilierung lassen grüßen! Es wäre an der Zeit, nicht mehr unter jedem Schleier Sprengstoffgürtel zu vermuten...

Zu diesen drei Elementen gesellt sich zusätzlich noch jenes des Fremden, das gleichzeitig über allem steht: Wir hören eine fremde Sprache, wir blicken in fremde Gesichter, wir nehmen fremde Gerüche war. Das Fremde war immer schon anziehend und abstoßend zugleich. Man schützt sich davor, indem man sich in seine eigene Gruppe zurückzieht, oder man sucht danach, indem man ferne Länder bereist. Wenn uns das Fremde irritiert, und uns durch Mechanismen Angst macht, die wir ganz leicht durch ein bisschen rationales Denken als harmlos erkennen können, dann sind wir selbst schuld. Wenn wir uns Angst machen lassen vor etwas, von dem wir wissen, dass es in Wahrheit unbedenklich ist, dann erliegen wir einem kindlichen Gefühl - der Angst vor dem Krampus oder eben dem "Schwarzen Mann". Kindliche Gefühle können verlockend sein, weil sie uns an eine Zeit erinnern, in der noch andere für uns gedacht haben und andere für uns verantwortlich waren. Vielleicht hatten wir einen heimlichen Spaß an der Angst vor eingebildeten Gefahren, weil wir wussten, dass es einen Papa und eine Mama gibt, die alle Gefahren bannen können und uns nie im Leben etwas zustoßen wird, solange unsere Eltern auf uns aufpassen.

Doch als erwachsene Menschen haben wir unsere Vernunft und unsere Lebenserfahrung. Wir haben selbstständiges Denken und leben in einem friedlichen Europa, in dem wir gelernt haben, anderen Menschen und Kulturen respektvoll und neugierig zu begegnen. Vielleicht erinnern wir uns selber ab und zu daran; und vielleicht laufen wir dann dem Schwarzen Mann in die offenen Arme. "Wenn er aber kommt?" - "Dann lachen wir ihm zu!"