Freitag, 30. Mai 2014

Eine Aufregung

Die Arroganz kennt - im Gegensatz zur Gastfreundschaft - keine Grenzen!

Es ist schon phänomenal, was wir alles schaffen. Die neueste Errungenschaft der Zeller Öffentlichkeitsarbeit besteht in einem ZDF-Beitrag, in dem wir uns als recht primitiv denkende Mir-san-mir-Gebirgsvölkler verkaufen.

Zum einen ist da eine Hotelchefin zu sehen, die mit Arabern nichts mehr zu tun hat, weil sie sämtliche Register zieht, um diese Gäste nur ja von ihrem Hotel fernzuhalten - was, nebenbei bemerkt, ihr gutes Recht ist. Was sie an den verschleierten Frauen störe, wird sie von der Reporterin gefragt. Sie antwortet, dass man ja nie genau wisse, was darunter stecke. Schließlich gebe es ja auch Terroristen. (!)
Pikanterweise ist es ausgerechnet das Zweithotel dieser Familie, direkt am Zeller See, das seit vielen Jahren ein sehr gutes Geschäft mit den Arabern macht.  Und es war obendrauf der Sohn besagter Hoteldame, der noch vor kurzem in den Medien behauptet hat, die "Benimmfibel" für die Araber sei eine Art "Tourismus-Apartheid" und diskriminierend.

Diese Janusköpfigkeit ist leider symptomatisch in Zell am See. Immer wieder sind die größten Kritiker der "Araberflut" gleichzeitig ihre größten Nutznießer. Nach einem Alternativkonzept befragt, wird dann darauf verwiesen, dass man international breiter aufgestellt sein müsse, und das noch dazu im Hochpreissegment. (Als könnten sich Araber keine 5-Stern-Hotels leisten! Als würden irgendwelche fiktiven Schweizer der Berge und Seen wegen nach Österreich fahren!) Denn die deutschen Knauser-Touristen, die will man ja auch nicht. Und die saufenden Schweden wollte man auch nicht. Die polternden Russen will man schon überhaupt nicht.

Was man jetzt mit den Arabern anfangen soll, darüber herrscht Uneinigkeit. Zumindest hat sich die Stimmung schon ein wenig geändert, langsam scheint es auch tatsächlich einen Diskurs darüber zu geben, der Ansätze von Konstruktivität zeigt. Dass wir aber als vorgebliche Top-Tourismusregion es nicht verstehen, uns interkulturelle Kompetenzen anzueignen, um auch mit Gästen umgehen zu können, die nicht aus den unmittelbaren europäischen Nachbarstaaten kommen, ist traurig. Eigentlich haben wir die Chance vergeben, uns die Araber zu Freunden zu machen. Ganz Europa hätte von den Zellern lernen können, wie man mit diesen Menschen respektvoll umgeht und mit ihnen Geschäfte macht.

Vielleicht ist es jetzt zu spät dafür. Denn obwohl sich die Araber daran gewöhnt haben, von den Zellern freundlich ignoriert zu werden, trägt die derzeitige internationale (!) Berichterstattung vermutlich dazu bei, dass sie mitbekommen, wie anscheinend viele Zeller wirklich über sie denken. Unseren Status als Paradies, den wir uns allein wegen unseres landschaftlichen Reichtums (für den wir am allerwenigsten können), und nicht etwa auch durch gelebte Gastfreundschaft über die Jahre erarbeitet haben - den können wir ganz schnell wieder verlieren. Und dann tragen die Araber ihr Geld woanders hin und wir haben endlich wieder einen wirklichen Grund zu jammern.

Es sollte auch nicht unerwähnt bleiben, dass sich der Tourismusverband mit der Thematik in den letzten Jahren so gut wie gar nicht auseinandergesetzt hat. Jetzt gibt es eine Broschüre, die ihren Sinn und Zweck vielleicht erfüllen wird. Den ersten hat sie schon erfüllt, denn sie hat das Thema nun endlich der öffentlichen Diskussion zugeführt. Dies geschieht zwar auf teilweise unerwünschten Wegen, aber anstatt anständig und offen darüber zu sprechen, wird dem ZDF-Filmteam empfohlen, ihren Beitrag über die Araber in Zell am See "lieber nicht" zu bringen. Wie peinlich, wenn das im Beitrag dann auch noch explizit so gesagt wird!

Und dann sitzt die Chefin des Tourismusverbandes vor der Kamera und spricht in Bezug auf den "Kulturführer" davon, dass ja die Araber noch vor "zwei, drei Generationen Schaf- und Ziegenhirten" gewesen seien! Das mag zwar in der Sache nicht falsch sein, aber gibt das ein gutes Bild ab? (Und bitte vergessen wir auch nicht, dass dasselbe auch für viele Hoteliersfamilien in der Region gilt. Nur dass es da halt nicht Schafe und Ziegen waren, sondern Schweine und Kühe.) Das ist despektierlich und beschämend. Das klingt, als wollten wir Zeller mit einem kleinen Büchlein dem durch Zufall zu Geld gekommenen Beduinenvolk eine Kultur beibringen. So wollen wir uns dem heißgeliebten deutschen Publikum präsentieren? Gar der Welt?

Ich finde, wir könnten es gescheiter machen. Durch die alte Geschichte mit der Bildung und Aufklärung - das sprichwörtliche Blicken (und Denken!) über den Tellerrand. Durch Freundlichkeit und Offenheit. Durch Anständigkeit und die Bereitschaft, Probleme gemeinsam zu lösen. Mit gemeinsam meine ich sowohl alle Zellerinnen und Zeller zusammen (nicht nur Hotellerie und Handel). Und mit gemeinsam meine ich auch zusammen mit den Arabern.

Vielleicht finden sich bei der nächsten Veranstaltung, in der es um Verständnis und Kommunikation geht, ein paar Leute mehr. Denn bis jetzt sind vor allem jene Veranstaltungen gut besucht, in denen schön geschimpft werden kann. Das ist auch traurig. Das ist auch beschämend. Das können wir bestimmt besser!

Dienstag, 27. Mai 2014

Hot Milk

Folgende Begebenheit illustriert wunderbar die sprachlichen Probleme, die man mit arabischen Gästen haben kann. Viele sind des Englischen nicht oder nur ungenügend mächtig und so werden selbst die einfachsten Anfragen oft zu mühseligen Angelegenheiten. Dass in vielen Fällen ausgerechnet die Frauen als Helfer in der Not einspringen müssen, erfüllt mich persönlich immer wieder mit Genugtuung. In diesem Fall kam das so:

Am Frühstücksbuffet

Der Araber starrt unsicher in den Krug mit der kalten Milch. Hilfesuchend sieht er sich um.
"Can I help you?", frage ich. Er deutet auf den Krug und sagt "Milk! milk?!"
"Yes, it's milk", versuche ich seine Zweifel zu zerstreuen. Der Araber macht eine abwehrende Handbewegung. Dann scheint er mit einer Hand die Milch durchzustreichen.
"No milk?", frage ich verunsichert. "Yes, yes!" und wieder streicht er die Milch durch. Dann hebt er mit einer Hand die Milch etwas an und lässt die Handfläche der anderen mysteriös unter der Kanne kreisen. Es sieht aus als wollte er dem Krug etwas Zauberhaftes entlocken.
"Warm milk?", rate ich und imitiere seine Handbewegungen zaghaft. Der Araber sieht mich verstört an. Anscheinend habe ich jetzt etwas ganz Falsches gesagt.
"No, no, but..." sagt er und beschwört wieder den Krug. Ich möchte ihm ja wirklich helfen, doch ein Teil von mir wartet bereits darauf, dass die Milch auf die Handbewegungen des Arabers in irgendeiner Weise reagiert. So starren wir gemeinsam auf den Milchkrug und wissen nicht weiter.

Da kommt mir die Idee mit den Synonymen: "Hot milk? Warm milk? ... Milk warm, hot? ... Boil? ... Heat?", frage ich, während meinen Händen die absurdesten Gesten einfallen. So bilde ich mit meinen Fingern züngelnde Flammen nach, drehe an imaginären Gashähnen und schüttle die Hände als hätte ich sie mir gerade verbrüht.
Der Araber schaut entsetzt. - "Milk different?", erkundigt er sich und es klingt als frage er nach meiner geistigen Gesundheit.
"You want different milk? What milk? This is normal milk. You want soy milk? Low-fat milk?" - ich werde immer aufgeregter. Nicht, dass ich ihm mit Soja- oder Halbfettmilch dienen könnte, aber momentan interessiert mich einfach, was mir der Mensch mit seinen seltsamen Anstalten zu verstehen geben möchte.
Er wirkt etwas verzagt, sieht sich wieder hilfesuchend um; draußen sitzt seine Frau auf der Terrasse. Er deutet mir zu warten, lächelt schuldbewusst und verschwindet zu seinem Tisch. Ich bleibe stehen und untersuche inzwischen die Milch nach etwaigen Mängeln. Doch es scheint alles in Ordnung zu sein.

Der Araber kommt zurück und versucht es noch einmal: "Milk! I need milk milk!"
"Milk milk?", imitiere ich seine Babysprache belustigt.
"This milk, different!", und wieder beschwört er die Kanne. Er kann eigentlich nur warme Milch meinen, und schon drehe ich mich um, um dem armen Araber warme Milch zu holen, da sagt er "Wait!" und deutet mir, mitzukommen.
Ich folge ihm auf die Terrasse, doch kurz vor seinem Tisch zeigt er mir an, dass ich stehen bleiben solle. Er spricht aufgeregt mit seiner Frau. Dann ruft er mir etwas auf Arabisch zu. Ich hebe meine Augenbrauen und sehe beide abwechselnd fragend an. Schließlich gibt er auf, winkt mich an den Tisch und deutet vielsagend auf seine Frau.
"Hot milk, please!", murmelt diese unter ihrem Schleier hervor und in ihrer Stimme meine ich ein Lächeln zu hören, welches ich natürlich nicht sehen kann. Ich drehe mich triumphierend zu ihrem Mann und wiederhole: "Hot milk, you see! Warm milk! Hot milk!" Er nickt heftig mit dem Kopf, als hätte er nie irgendetwas anderes gesagt.
Erleichtert springe ich davon, und als ich wieder an ihren Tisch komme, wiederhole ich: "Hot milk! Warm milk!" - "Yes, yes!" nickt der Araber und lacht, weil er wohl wieder eine neue Vokabel gelernt hat.
Die Meinung seiner Frau zu diesem Thema kann ich nur vermuten, aber ich denke, sie hat sich gefreut, dass sie mit ihren Englischkenntnissen das Frühstück ein wenig gelungener gestalten konnte. Ob sich ihr Mann für sein schlechtes Englisch geschämt hat? Ich bezweifle es...

Sonntag, 25. Mai 2014

Überraschung mit Ankündigung

Ein ZDF-Filmteam schleicht durch die Zeller Innenstadt. Offenbar sind sie auf der Suche nach verschleierten Arabern und aufgebrachten Einheimischen in Lederhosen, die ihnen den Müll hinterherwerfen, den erstere achtlos liegen gelassen haben. Die Filmcrew muss enttäuscht sein, denn es schieben sich an diesem Sonntag Nachmittag nur ein paar deutsche Rentnergruppen müde durch die Straßen. Vielleicht können die Journalisten diese interviewen und fragen, ob sie ein paar von diesen sonderbaren Gästen aus dem Morgenland gesehen haben; und ob sie sich auch so gestört fühlten wie es die Einheimischen anscheinend vorgeben zu sein. Ob sie Erfolg hatten, weiß ich nicht, aber vielleicht verrät es uns demnächst das deutsche Fernsehen.

Nach ein paar Presseberichten (u.a. in der Süddeutschen Zeitung und der britischen Daily Mail), ist das Interesse an unserem kleinen Alpenparadies offenbar dramatisch gestiegen. Das alles seit der ORF-Journalist Karim El-Gawhary letzen Dienstag nach Zell geladen wurde. Eigentlich sollte er sein neues Buch vorstellen, doch im hiesigen Kongresszentrum, das bis auf den letzten Platz besetzt war (eine Premiere?), stand er einem aufgebrachten Zeller Publikum gegenüber. Er sollte sich nun zur regionalen 'Araberproblematik' äußern. Gescheiterweise hat er uns bloß daran erinnert, dass mit ein bisschen Aufgeschlossenheit und Respekt viele Probleme zu überwinden sind, und dass wir froh sein sollten, selbst keine gröberen zu haben. (Wie viele Menschen, die in der arabischen Welt geboren wurden und nicht das Glück haben, im Sommer Zell am See besuchen zu können).

Die "Benimmfibel für Araber" wirbelte viel Wüstenstaub auf in den letzten Tagen. Dieser trübte sowohl das Panorama wie auch die Stirn vieler kritischer Beobachter. Von Rassismus und Tourismus-Apartheid war da die Rede. Dabei erklären wir unseren arabischen Gästen nur unsere Kultur und wie es bei uns so zugeht. Für viele ist das hilfreich und viele andere wissen von ihren vorangegangenen Besuchen eh schon Bescheid. Und da liegt das Grundproblem, warum der ganze Bahoi, der um diesen Ratgeber gemacht wurde, überhaupt unsinnig ist: Weil er gefühlte 15 Jahre zu spät kommt. Weil sich die Zeller, anstatt sich mit ihren neuen Gästen auseinanderzusetzen, wie die kleinen Kinder die Augen und Ohren zugehalten haben in der Hoffnung, der böse Spuk möge bald vorbei sein. Als sie bemerkten, dass dies nicht so bald der Fall sein würde, fingen sie an, Schauergeschichten über die "Verschleierten" zu erzählen. Die Araber störte das natürlich nur wenig, denn sie wussten nichts davon. Nur, dass sie von den seltsamen Gebirglern nicht viel Freundschaftliches erwarten könnten, das mussten sie bald spüren. Es hat daher auch noch keiner von ihnen gesagt, dass er wegen der Menschen so gerne nach Österreich reisen würde...

Ausgrausigen hat nicht funktioniert, also arrangierte man sich so gut es ging, holte sich quasi die Feinde in die Hotelbetten. Jetzt kommt man plötzlich darauf, dass man ja auch mit ihnen reden könnte und gestaltet eine Broschüre, die den Gästen das erklärt, was wir ihnen während der letzten Dekade nicht verständlich machen konnten. (Nicht, weil sie es nicht kapierten, sondern weil wir es nicht versucht haben!) Dass wir nämlich auch nur Menschen sind, unsere eigene Kultur haben, und gerne Gäste da haben, die auch gewisse Regeln respektieren. Prinzipiell ein richtiger Schritt, aber, wie gesagt, ein später. Wer jetzt glaubt, wir drücken den Arabern eine Broschüre in die Hand und alles wird gut, hat nichts verstanden. Das ist alles erst der Anfang von etwas, was man heutzutage unter Völkerverständigung (oder interkulturellem Austausch) versteht. Gerne möchte ich Karim El-Gawhary Glauben schenken, wenn er auf seiner Facebook-Seite sagt: "Ich bin sicher, dass die Menschen in Zell am See die Probleme in den Griff bekommen, wenn sie aufgeschlossen bleiben."

Vielleicht sind auch viele froh, dass ahnungslose deutsche Filmteams gerade jetzt nach Zell kommen und nicht erst im August, wenn sie ihren Stationen auch die richtigen Bilder liefern können: Jene des schwarzen Horrors am "Golf von Österreich", tausende Araber in Motorbooten, Autos und auf Fahrrädern. Und möglicherweise kommen auch nächstes Wochenende noch ein paar Journalisten, wenn tausende Rentner aus Deutschland, Italien und der Schweiz die Zeller Straßen im Rahmen des Salzburger Musikfrühlings säumen - einer kurzen Veranstaltung ohne grässlich komplizierter Kulturgräben.

Mittwoch, 14. Mai 2014

Beim Barte des Propheten!

Bärte sind ja momentan um aller Munde. Nicht erst seit dem Songcontest-Sieg von Conchita Wurst erlebt die männliche Gesichtsbehaarung eine Renaissance. Ob Hipster-Wolle oder Dreitage-Bart - in vielen Männergesichtern sprießt wieder mehr oder weniger ansehnliches Haar. Ich persönlich habe seit einem guten dreiviertel Jahr einen 3-8-Tagesbart, je nach Saison bzw. Okkasion. So stutze ich gelegentlich vor wichtigen gesellschaftlichen Terminen, denn man will ja nicht ganz verwildert aussehen. Meine letzte Glattrasur liegt ca. 5 Monate zurück. Ausgerechnet am 1. Jänner dachte ich mir, man sollte wieder frisch ins neue Jahr starten, und so musste auch der Bart weg. Seitdem sah er nur den Trimmer, um allzu unartige Auswüchse in Grenzen zu halten.

Unsere arabischen Freunde halten ja viel von Bärten. Zwar trifft das noch nicht auf den weiblichen Teil der Bevölkerung zu, die meisten Männer allerdings lassen stolz Gesichtswiesen sprießen. Nicht zuletzt ist es der Glauben, der den Männern das Tragen eines Bartes vorschreibt. Interessanterweise pflegen die Muslime vor allem Backen- und Kinnbärte, nicht jedoch den hierzulande meistens wegen einer verlorenen Wette oder aus ironischen Gründen getragenen Schnurrbart. Es herrscht im Islam quasi eine dem österreichischen Bundesheer entgegengesetzte Bartregel: Alles geht und ist auch erwünscht, außer Schnurri! Wir sehen also: Schon allein an der Barttracht erkennen wir, dass potenzielle Dschihadisten es nicht darauf anlegen, mit chemischen oder biologischen Waffen ins Gefecht zu ziehen. Der Bart an Backen und Kinn verhindert nämlich das luftdichte Schließen der Schutzmaske (vulgo: des Gummizutzes).

Ist also der Bart ein Zeichen des Friedens? Müssen wir uns vor grimmig zitternden Bärten etwa nicht fürchten, sondern sie gar kraulen? Nun, so weit wollen wir nicht gehen. Aber wohl ist der Bart beim muslimischen Mann ein Ausdruck seines tiefen Glaubens und auch seiner Männlichkeit. Letzteres macht mir Kopfzerbrechen, denn auch ich erhoffe mir für den kommenden Sommer von meinem krausen Gesichtshaar eine seriöse Wirkung. Als Glattrasierter wird man doch von einem Rauschebart-Araber nicht ernst genommen! Ich hoffe nur, dass mein spärlicher Bartwuchs an den Backen die Araber nicht belustigt, denn dann hätte mein Bart ja den gegenteiligen Effekt: Statt Respekt einzubringen, gäbe er mich der Lächerlichkeit preis! Nicht, dass ich glaube, meine Gesichtsbehaarung würde großartig viel daran ändern, wie die Araber mir entgegentreten. Aber da ich nunmal schon eine habe, bin ich doch gespannt, ob der eine oder andere Vollbart-Araber mir anerkennend die Hand schüttelt und mich zu meinem jämmerlichen Versuch beglückwünscht.

Den Schnurrbart aber lasse ich trotzdem stehen. Mein fleckiges Acker an den Backen muss nicht noch durch einen fehlenden Bart unterhalb der Nase untergraben werden. Auch möchte ich nicht fälschlicherweise für einen Muslim gehalten werden, oder - noch schlimmer - für einen Österreicher, der sich den arabischen Gästen soweit anbiedern will, dass er sogar deren Barttracht übernimmt. Schließlich empfange ich ja die deutschen Gäste auch nicht in Wanderstutzen...

Sepp Rasser

Nicht tatsächlich so passiert, aber es könnte durchaus so gewesen sein. Da wir uns mit den Arabern über die englische Sprache verständigen, treten mitunter beiderseitige Verständnisschwierigkeiten auf, die oft auch mit der Aussprache zu tun haben...


„Sepp Rasser? I don't know a Sepp Rasser! I am Moslechner!“ Der Mann, der das sagt, fuchtelt abwehrend mit den Händen als wolle er mit dieser ganzen Sache am liebsten gar nichts zu tun haben. Der arabische Kunde beugt sich etwas über den Ladentisch, als habe er das Fuchteln als Einladung zum Näherkommen verstanden: „But man next door tell me you are Sepp Rasser!“

Der vermeintliche Sepp Rasser steht jetzt ganz an der Wand seines kleinen Trachtengeschäfts. Dort, an der Wand hinter der Kassa, hängen einige Kinderlederhosen und -dirndln. Würde man ihn fotografieren, mit seinem lichten Schnauzbart und den kleinen schwarzen Augen, sähe der Mann jetzt aus wie ein belgischer Pädophiler auf Alpenurlaub. Dem Araber fällt so etwas natürlich nicht auf. „You have dress for girrl?“ fragt er, noch eindringlicher als er vorher nach Sepp Rasser gefragt hat. Nun dringt aus dem hinteren des Raums ein hektisches Abrakadabra. Eine der fünf Frauen hält ein Dirndl hoch und es sieht aus, als würde sie damit anzeigen, dass sie es war, die geredet hat. Für den Sepp Rasser hinter dem Ladentisch wäre das nämlich nicht zu erkennen gewesen, tragen doch alle Frauen einen Schleier vor dem Gesicht.

Wütend dreht sich der Araber um und schreit irgendetwas in Richtung seiner Frau. Er scheint beleidigt zu sein, dass die Frau zuerst gefunden hat, wonach sie gesucht haben. „You show!“ sagt er zum Sepp Rasser, der eigentlich Moslechner Alois heißt, und zeigt dabei auf ihn. Ängstlich kommt der Alois aus seiner Ecke hervor und wuselt hinter dem Araber her. Drei Kleinkinder haben begonnen, die kleinen Stoffmurmeltiere, die pfeifen, wenn man sie drückt, zu betätigen. Indessen sind die arabischen Frauen in aufgeregtes Geplapper verfallen. Nacheinander werden alle Dirndln herausgezogen, die der Alois in seinem nicht allzu großen Geschäft hängen hat. Das Pfeifen der Plüschmanggerl sticht dem Alois schon in den Ohren als einer der drei Buben – oder ein vierter? - auch noch die Kuhglocken findet, die der Moslechner Alois schon seit den frühen 80ern im Geschäft hängen hat, und die sich damals noch gut verkauft haben; bis der Markt eben irgendwann gesättigt war, oder die Leute begriffen haben, dass sie mit einer Kuhglocke daheim im Grunde gar nichts anfangen können und dass auch das ästhetische Wohlempfinden beim Anblick einer solchen nur eine kurze Halbwertszeit hat.

Das Gebimmle, Gepfeife und Geplapper muss der Alois jetzt dulden, denn er ist schon längst nicht mehr Herr über seinen Laden. „What price for this?“ fragt der Araber streng, und der Alois greift schnell nach dem Preisschild. Es hat ihm vor ein paar Tagen jemand gesagt, dass Araber gut Ziffern lesen können, weil wir die von ihnen gelernt haben. Seitdem zeigt der Loisl den arabischen Gästen immer nur Preisschilder, um Missverständnissen vorzubeugen. Ein anderer Araber, der an einer kleineren Kuhglocke interessiert gewesen war, hat ihn zum Beispiel einmal nach dem Preis gefragt. Da hat der Loisl die Kuhglocken noch nicht beschriftet gehabt und dem Araber gesagt „Thirty two!“, worauf der Araber entgegnete: „Aha! But I only want one! So one fifteen?“ Der Rest des Gesprächs verlief nur weniger umständlich und nötigte den Alois dann ohnehin dazu, den Preis auf einen Zettel zu schreiben.

Der Araber inspiziert das Preisschild des Dirndls; auch die Frauen schauen neugierig darauf, während im Hintergrund weiter die Murmeltiere pfeifen und die Kuhglocken bimmeln. Als das Bimmeln aufhört, wird der Loisl misstrauisch und schaut kurz über seine Schulter. Eines der Kinder hat sich einen Filzhut aufgesetzt und rennt damit bei der Tür hinaus. Auch der arabische Vater merkt, was passiert ist und lässt einen lauten Fluch los. Sofort erscheint der Bub wieder in der Türe. „What price for hat?“ Der Loisl stürmt zum Hutregal, kommt mit einem Filzhut zurück und hält ihn dem Araber vor die Nase. „I buy“, sagt der Araber kurz und deutet dabei auf seinen Sohn. Auch die anderen beiden haben nun von den Murmeltieren gelassen und drehen jetzt an den Postkartenständern. Wieder sagt eine der Frauen etwas, wieder kann der Loisl nicht ausmachen, welche es gewesen ist.

Der Araber deutet auf das Dirndl, zieht die Augenbrauen hoch und sagt: „Discount!“ - Es ist keine Frage. Der Moslechner Alois antwortet: „No discount“, und klingt dabei fragend. „But I buy hat!“ sagt der Araber aufgebracht. - „Yes, but no, but...“ Wieder flucht der Araber etwas und die Frauen brechen in erneutes Gegacker aus. „You don't give discount?“, die Stimme klingt jetzt sanfter. „I don't have discount!“ entgegnet der Moslechner entschuldigend. „But you can give discount, no?“ - diese Frage verwirrt den Alois jetzt.

„No discount!“, sagt er mit Nachdruck. Der Araber brummt. „I take this and hat“, sagt er und hält ihm eines von den Dirndln hin. Der Moslechner Alois nimmt das Dirndl, wundert sich darüber, wie jemand ein Dirndl kaufen kann, ohne es vorher anzuprobieren, entschließt sich aber dazu, lieber keine weiteren Fragen zu stellen.

Wieder pfeift ein Murmeltier. Einer der Buben hat das Interesse an dem Postkartenständer verloren und ist zurück zu den Plagegeistern. „What's this?“ fragt der Araber und deutet Richtung Murmeltiere. „Äh... a Manggei!“ sagt der Loisl in Ermangelung der passenden englischen Vokabel. „Is animal, ha? Live here?“ - Der Araber scheint auf dem richtigen Weg zu sein, deswegen nickt der Loisl heftig. „I take!“ sagt der Kunde und schreit etwas Grimmiges, worauf der kleine arabische Junge mit dem Murmeltier zur Kassa gelaufen kommt. „So I take this, this and hat. No discount, ha?“, auf dem Gesicht des Arabers zeigt sich ein fast ironisches Lächeln. Da muss der Loisl blöd grinsen und lacht: „No discount!“, worauf sich das Gesicht des Arabers gleich wieder verfinstert. Der Postkartenständer quietscht und taumelt unter den immer wilder werdenden Drehungen, die er, angetrieben von den Händen des kleinen Arabers, zu vollführen hat.

Als der Loisl das Geld des Arabers nimmt, klatscht ein Päckchen Ansichtskarten auf den Boden. Der Vater stürmt zum Postkartenständer, hält diesen abrupt an, worauf sich weitere zwei Päckchen auf dem Boden verteilen. Laut fluchend scheucht er das Kind aus dem Laden. „I am sorry!“, sagt der Araber, „no, passt scho!“ der Loisl.

Nach Erledigung des Zahlungsgeschäftes fragt der Kunde noch ein letztes Mal „You are not Sepp Rasser, no?“ und lacht ein bisschen. Gut aufgelegt, weil er ein gutes Geschäft gemacht hat und die scheinbare Bedrohung dabei ist, sich zu verziehen, sagt der Loisl erleichtert: „No, I am not Sepp Rasser.“ - „But man next door say you Sepp Rasser!“ Der Araber wirkt verwirrt und auch der Loisl schaut sein Gegenüber verblüfft an. „I was talking to man next door. I ask who sell Austrian dress for women. He tell me: Sepp Rasser!“ (Tatsächlich ist es nämlich so, dass der Bruder vom Moslechner Alois, der Moslechner Rupert, gleich nebenan ein Spezialitätengeschäft führt.)

Der Araber fährt in seiner umständlichen Erklärung fort: „I tell him I want to go to Moslecker! He say that he is Moslecker, but for dress I have to go to Sepp Rasser! And he show me to go in here!“ Nun ging dem Moslechner Alois ein Licht auf. Der Araber wurde wohl wegen eines Dirndls zum „Moslechner“ geschickt und landete – durchaus folgerichtig – im Geschäft seines Bruders. Da es in einem Spezialitätengeschäft aber keine Dirndln gab, sondern nur Schweinsbäuche und ähnliches, für Araber ganz und gar unbrauchbares, musste der Bruder den Araber wohl zu ihm herein geschickt haben!

In diesem Moment erscheint der Moslechner Rupert grinsend in der Tür. Der Araber deutet auf ihn und scheint vergnügt: „Look, this man send me here!“, sagt er aufgeregt. Der Rupert kommt in den Laden herein, deutet auf den Loisl und sagt: „Ah, ei sie ju faund mei Brasser!“

Der Araber fragt: „This is Sepp Rasser?“ - „Yes!“, sagt der Rupert und legt stolz den Arm um seinen Bruder: „dis is mei Brasser!“
„See!“, ruft der Araber stolz und schaut den Alois in der überzeugendsten Weise an: „You are Sepp Rasser! But why you call yourself Moslecker?“

Auch der Rest dieses Gesprächs verlief wieder einmal nicht unkompliziert...