Sonntag, 27. Juli 2014

Einmal Wien und zurück

Teil 2 der irrwitzigen Erfahrungen mit sonderbaren geographischen Vorstellungen

Ein Freund erzählte mir einmal von einer Zugfahrt von Salzburg nach Wien: Im Waggon befand sich eine arabische Familie, die sich angeregt unterhielt. Nun ist der Zug ohnehin schon ein für arabische Gäste ungewöhnliches Transportmittel. Ich kenne dieVorbehalte, die Araber den öffentlichen Verkehrsmitteln gegenüber haben. Oft erntete ich nach langen Erklärungen über Bushaltestellen und Abfahrtszeiten nur ungläubige Blicke ("Every half hour? Exactly!?") Ist aber der arabische Gast einmal erfolgreich mit dem Bus gefahren, hat er eine regelrechte Freude daran.
Die Familie im Zug von Salzburg nach Wien dürfte noch nicht allzu viel Erfahrung mit dem öffentlichen Verkehr gemacht haben. Jedenfalls hörte besagter Freund immer wieder die Zauberformel "Selamsi-Saprun! Selamsi-Saprun!", und erkannte als aufmerksamer Pinzgauer, dass hier nur Zell am See und Kaprun gemeint sein konnten. Nun wusste er allerdings nicht, ob die Familie von ihren Erlebnissen dort schwärmte, oder aber erst dorthin wollte...

Als die faden Landstriche entlang der Westbahnstrecke beim besten Willen keine Berge zeigen wollten, schien die Familie zunehmend unruhiger zu werden. Berge, Eis und Seen hatte man ihnen versprochen! Doch hier nur Felder, noch mehr Felder und graue Hügelflächen! Wieder hörte man sie angeregt diskutieren, und wieder fiel mehrmals die Formel "Selamsi-Saprun! Selamsi-Saprun!". Also beschloss der mitreisende Pinzgauer, die Gäste nach ihrer gewünschten Destination zu fragen. Tatsächlich antwortete der Vater der Familie: "Selamsi-Saprun!" Nun wusste der Einwohner der beschworenen Region um die Bredouille, in die sich die Familie unwissentlich selbst gebracht hat, und erklärte dem Familienoberhaupt die geographischen Gegebenheiten. Als der arabische Vater ihre missliche Lage vollkommen erfasst zu haben schien, fiel er freilich aus allen Wolken, waren sie doch stundenlang in die gänzlich falsche Richtung gefahren und jetzt schon kurz vor Wien!

Ob und wie die Familie dann noch nach Zell am See gelangte, weiß man nicht. Meistens aber gelangen sie immer hierher, auch wenn der Weg ein beschwerlicher ist. Schon öfter lauschte ich ungläubig den Erzählungen spät angekommener Gäste, die nicht auf direktem Weg nach Zell am See gekommen waren, sondern sich vielmehr in konzentrischen Kreisen ihrem Zielort genähert hatten. Das alte Motto "Ich weiß nicht, wo ich hin will, aber umso schneller bin ich dort" ist in solchen Fällen nur halb richtig. Aber wenn jemand (wie es auch schon geschehen ist) von München nach Zell am See acht Stunden braucht und behauptet, es wäre kein Stau gewesen, dann hat er bestimmt nicht nur eine Sache falsch gemacht...

Dienstag, 8. Juli 2014

Der Stern von Europa

Was die Einschätzung von Autodistanzen betrifft, liegen die arabischen Gäste nicht immer ganz richtig.

Die Arabische Halbinsel ist die größte der Welt: Sie misst 2,7 Millionen Quadratkilometer und es leben dort ca. 60 Millionen Menschen. Die Zahl der auf ihr liegenden Staaten ist allerdings überschaubar. Der größte von ihnen ist das Königreich Saudi Arabien. Fährt man dort mit dem Auto von Küste zu Küste, zum Beispiel vom westlichen Jeddah nach Dammam im Osten, ist man ca. 12 Stunden unterwegs. Das entspricht in etwa der Strecke von Salzburg nach Kopenhagen. Das lässt sich alles in wenigen Minuten mit Google Maps herausfinden. Jetzt hat man das, was man gemeinhin "eine Ahnung" oder eine "ungefähre Vorstellung" von den Auto-Distanzen in Saudi Arabien nennt.

In der Vorstellung der Araber ist aber Europa und vor allem Österreich viel, viel kleiner - oder viel, viel größer; je nachdem, wen man nach seinen Vorstellungen befragt. So erklärten mir einmal drei junge Männer aus Kuwait, sie wollten ein bisschen Europa mit dem Auto bereisen. Wo sie denn nach ihrem Aufenthalt in Zell am See hin wollten, habe ich sie gefragt. Ihre Antwort ließ mich die Augenbrauen hochziehen, denn ihre geplante Route hatte die folgenden Destinationen in genau dieser Reihenfolge:
  • München
  • Innsbruck
  • Wien
  • Prag
  • Budapest
  • Genf.

Ich fand es löblich, dass sich die jungen Herren auch für die sonst von arabischen Gästen weniger bereisten Städte Budapest und Prag interessierten. Trotzdem setzte ich mich an den Computer und machte mir die Mühe, per Google Maps ihnen ihre geplante Strecke in Fahrtstunden niederzuschreiben. Nun waren sie es, die die Augenbrauen hochzogen. "But is so small!", sagte einer von ihnen und meinte damit wohl Österreich. Als ich ihnen dann sagte, dass man in Österreich von einem Ende zum anderen gute sieben Stunden unterwegs sei, staunten sie und meinten, das entspreche etwa der Strecke von Kuwait nach Riyadh - für ihre Begriffe eine Weltreise! Wir verbrachten noch ein paar Minuten mit Google Maps und die drei einigten sich dann auf eine andere Route, die sich weniger sternförmig als die ursprüngliche Variante ausnahm.
Wo sie schlussendlich noch überall hinkamen, wage ich nur zu vermuten. Ich denke aber, dass die eine oder andere Stadt von ihrer Wunschliste gestrichen werden musste.